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Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut
Autoren: Jobst Schlennstedt
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Zeitung hatte gestanden, dass vorerst in alle Richtungen ermittelt werde. Aber wer ermordete schon eine joggende Rentnerin? Den unheimlichen Gedanken, der sich für einen kurzen Moment an die Oberfläche ihres Bewusstseins kämpfen wollte, verdrängte sie erfolgreich.
    Ihr Herz pumpte jetzt so schnell, dass sie befürchtete zu kollabieren. Sie blieb abrupt stehen, hatte jedoch Probleme, sich auf den Beinen zu halten. Ihr Kreislauf schien schlappzumachen. Plötzlich spürte sie, dass ihr schlecht wurde. Sie schleppte sich vom Schotterweg an die Uferkante des Kanals und ging in die Hocke. Nachdem sie die Augen geschlossen hatte, beruhigte sie sich allmählich. Der Brechreiz verschwand, das pulsierende Stechen in ihrem Oberkörper ließ langsam nach.
    Vorsichtig öffnete sie die Augen wieder. Die Sonne blinzelte hinter den dicken Regenwolken hervor und blendete sie. Ein Regenbogen formte sich am Himmel.
    Jetzt erst fiel ihr Blick ins Wasser der Kanaltrave. Sie bemerkte, dass etwas beständig gegen die Uferböschung schwappte. Noch hatten ihre Augen Probleme mit der Helligkeit, doch nach und nach erkannte sie Konturen. Ihre Übelkeit kehrte schlagartig zurück. Sie rappelte sich auf und betrachtete fassungslos die Frauenleiche im Wasser. Obwohl sie nicht erkennen konnte, um wen es sich bei der Toten handelte, hatte sie eine fürchterliche Ahnung.

3

    Birger Andresens Handy klingelte, als er gerade in die Tiefgarage des Polizeipräsidiums einbog. Es war Viertel nach acht. Gerade erst war er aus Kiel zurückgekehrt, wo er mit Wiebke und den Kindern ein verlängertes Wochenende bei ihrer Mutter verbracht hatte. Auf dem Display erkannte er, dass es Frank Sibius war.
    »Morgen«, brummte Andresen.
    »Wo bist du? Kannst du schnell kommen?« Der Leiter der Mordkommission klang gehetzt. »Wir haben in zehn Minuten Krisensitzung. Man hat schon wieder eine gefunden.«
    Andresen wollte etwas erwidern, doch das Gespräch wurde unterbrochen. Er musste daran denken, dass erst vor wenigen Tagen eine weibliche Wasserleiche in der Kanaltrave gefunden worden war, und befürchtete das Schlimmste. Er parkte seinen Volvo auf dem für ihn reservierten Parkplatz und nahm den Aufzug in die dritte Etage der Bezirkskriminaldirektion. Obwohl er das Behördenhochhaus mit seinem sterilen Interieur nicht mochte, hatte er nach all den Jahren längst das Gefühl, sein zweites Zuhause zu betreten. Wie viele Stunden, Tage und Nächte hatte er hier schon verbracht. Wahrscheinlich mehr als in seinem eigenen Haus.
    Sein eigenes Haus in der Großen Gröpelgrube, in dem er nun seit mehr als einem Jahrzehnt lebte, sinnierte er. Anfangs mit seiner damaligen Frau Rita und ihrem gemeinsamen Sohn Ole, seit ein paar Jahren mit Wiebke und den beiden kleinen Mädchen. Es schien ihm noch immer surreal, dass er das Haus in der vergangenen Woche tatsächlich an ein Pärchen aus Süddeutschland verkauft hatte, das schon seit Langem auf der Suche nach einer passenden Immobilie in der Altstadt Lübecks gewesen war. Immerhin hatte er sich mit den neuen Besitzern, die das Haus komplett umgestalten wollten, darauf geeinigt, die Dachetage anzumieten. So ganz wollte er einfach noch nicht gehen und die Vergangenheit über Bord werfen.
    Sein eigenes Haus. Das stand jetzt keine dreihundert Meter von der Abbruchkante des Brodtener Steilufers entfernt. Wiebke hatte sich durchgesetzt mit ihrer Idee, aufs Land zu ziehen. Wenn er darüber nachdachte, wie sich sein Leben verändern würde, gab es Momente, in denen er seine Entscheidung bereute.
    Im ersten Stockwerk stieg eine junge Kollegin aus der Pressestelle in den Fahrstuhl ein.
    »Guten Morgen, Birger.«
    »Hallo, Martina. Wie geht's dir? Viel zu tun?«
    »Na, du stellst Fragen. Hier ist der Teufel los. In einer Stunde beginnt die PK.« Ihr Handy klingelte. Knapp teilte sie dem Anrufer mit, dass sie den vereinbarten Termin nicht würde wahrnehmen können. Aus den Wortfetzen, die Andresen aufschnappte, schloss er, dass es um den Besuch einer Schulklasse ging, die sich den Polizeialltag aus nächster Nähe anschauen wollte.
    Als sie im dritten Stockwerk anhielten, nickte er der noch immer telefonierenden Kollegin zu und verließ den Fahrstuhl. Sein Büro befand sich am Ende des Gangs auf der rechten Seite.
    Andresen schaltete den Rechner an und blätterte rasch einige Papiere durch, ehe er beschloss, sich am Automaten auf dem Flur einen Espresso zu ziehen und anschließend ins Besprechungszimmer zu gehen, wo Sibius und die anderen
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