Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut
Autoren: Jobst Schlennstedt
Vom Netzwerk:
dass sie sofort untergehen würde, doch als er ihren Kopf unter Wasser drückte, erwachte sie zu neuem Leben und tauchte wieder auf.
    Immer und immer wieder presste er sie unter Wasser. Gelegentlich war ein Gurgeln von ihr zu hören, Wasser spritzte auf. Sie zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Im Todeskampf schien sie fast übermenschliche Kräfte zu entwickeln.
    Es dauerte mehrere Minuten, bis er sich sicher war, dass sie tot war. Er hielt sie nur noch an den Händen fest, der Rest ihres Körpers hing leblos im Wasser. Eine Weile wartete er noch, dann schloss er die Augen, lockerte seine Muskulatur und ließ sie langsam in den kalten Kanal gleiten.
    Erst eine Viertelstunde später richtete er sich wieder auf. Er hatte erfolglos versucht, ihren Körper in der Dunkelheit zu verfolgen. Aus der Hosentasche zog er eine Packung Zigaretten, zündete sich mit ruhiger Hand eine an und blies den Rauch kreisförmig in den Abendhimmel.
    Er blickte noch einmal ins Wasser und betrachtete nachdenklich sein Spiegelbild. Die sich im Mondschein kräuselnden Wellen verhinderten jedoch, dass er Einzelheiten erkennen konnte. Seine Augen tanzten hin und her, Mund und Nase schienen seltsam verformt. Die verschwitzten Haare und die blutigen Kratzer auf den Wangen konnte er nur erahnen.
    Einen Moment lang hatte er das Gefühl, ihren Kopf unter der Wasseroberfläche zu sehen. Doch dann sagte er sich, dass sie schon längst von der Strömung davongetrieben worden war. Er kniff die Augen zusammen und ließ den Blick über die dahinfließende Kanaltrave schweifen. Er hatte es erneut getan. Obwohl sie sich zur Wehr gesetzt hatte, war es einfacher als erhofft gewesen. Sogar noch leichter als beim ersten Mal. Wahrscheinlich weil er besser vorbereitet gewesen war. Und weil er sie direkt hier am Wasser abgepasst hatte.
    Wie unterschiedlich menschliche Körper doch waren, dachte er. Beim ersten Mal hatte die Leiche einfach nicht davontreiben wollen. Immer wieder hatte er versucht, den leblosen Körper von der Uferkante wegzuschieben. Diesmal war sie innerhalb weniger Sekunden aus seinem Blickfeld verschwunden.
    Er zog noch ein letztes Mal an seiner Zigarette, ehe er die Kippe ins Wasser schnipste. Nachdem er den Rauch ausgeblasen hatte, drehte er sich um und verschwand im Schatten der großen Bäume. Im befriedigenden Bewusstsein, dass er schon bald an diesen Ort zurückkehren würde.

2

    Hanka Weicherts Lunge brannte, und das verdammte Seitenstechen fühlte sich an, als ramme ihr jemand ein langes Küchenmesser in die Bauchdecke.
    Sie war untrainiert und hasste es zu joggen. Aber es war nun mal das effektivste Mittel gegen den Kummerspeck, den sie sich nach der Trennung von ihrem letzten Freund angefressen hatte.
    Sie lief nicht viel, zweimal in der Woche, das war das Maximum. Oft blieb es jedoch bei den guten Vorsätzen. Trotzdem hatte sie eine feste Strecke entlang der Kanaltrave. Knapp vier Kilometer, genug, um anschließend fix und fertig zu sein.
    Es war Viertel vor sieben; noch war kaum etwas los auf den Straßen Lübecks. Der morgendliche Berufsverkehr würde aber schon bald einsetzen. Sie wohnte am Wakenitzufer und hatte es nicht weit bis zum Kanal. Sie kreuzte die Falkenstraße, um wie immer nach links in Richtung Hüxtertorbrücke abzubiegen. Kurzerhand entschied sie sich jedoch um und lief in die andere Richtung. Sie überquerte den Kanal, indem sie den Weg über die Glitzerbrücke wählte. An deren Ende bog sie wieder rechts ab und joggte parallel zur Kanalstraße am Wasser entlang.
    Es gab einen speziellen Grund dafür, dass sie sich heute für diesen Weg entschied. Brigittes Tod vor einigen Tagen hatte sie ziemlich aus der Bahn geworfen. Ihre Leiche war irgendwo hier am Kanal im Wasser gefunden worden. Die Polizei ging offenbar von einem tragischen Unfall aus. Zumindest war nicht von einem Verbrechen die Rede gewesen.
    Sie lief weiter am Kanal entlang. Ihre Gedanken kreisten um Brigitte und ihre Familie. Sie hatten damals nicht viel miteinander zu tun gehabt, dafür war der Altersunterschied zu groß gewesen. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie sie nie sonderlich gemocht. Brigitte war unnahbar gewesen und hatte eine antiquierte Art gehabt, mit Kindern umzugehen. Trotzdem ließ ihr Tod sie nicht unberührt.
    Das Stechen in der Seite wurde immer stärker. Es fühlte sich jetzt an, als reiße ihr jemand die inneren Organe heraus. Der zunehmende Regen peitschte in ihre Augen.
    Ob es tatsächlich ein Unfall gewesen war? In der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher