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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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wartet.
    Ein guter Rat zum Schluss – Sie dürfen Letzte Dinge nicht nur denken – sie müssen sie erleben, sonst verwässern Sie Ihre finalistische Stimmung.

 
    106 Interaktionen in der Kultur hatte mir ein Dr. Greiff empfohlen, aber mussten die sein, das war die Frage; mir war nicht nach danach. Theater, Kino, Konzerte oder gar Lesungen griffen meinen Verstand an und verursachten Migräne, vom Kopfschmerz im präfrontalen Kortex ganz zu schweigen. Von meiner elementaren Angst vor üblen Gerüchen, Viren und Bazillen muss ich nicht sprechen. Und außerdem, meine notorisch schwache Blase – neben der Klaustrophobie – determinierte mein Kultur-Verhalten. Ich war dispensiert; Lesen reicht.
    Der Doc, entnahm ich meinem abgegriffenen Adressbuch, hieß Guth und nicht Greiff, eine unbegreifliche Verwechslung, Dr. Greiff war Dermatologe, der mich von einem Furunkel befreite, das die Ärzte Guth & Wolzan als eine Frucht von Stress indizierten. Sie züchteten damals in ihrer Freizeit deutsche und dänische Doggen und verkauften sie, soviel ich weiß, an eine chinesische Firma namens Lu Yan & Co.
    Verschob den Besuch bei ihnen auf später, obwohl Doggen interessant sind, weil sie selten die Neurosen ihrer Besitzer teilen. An einem Mittwoch, Datum verschollen, fand ich in meiner Arztkollektion die Adresse des Analytikers Cordes, dieses ängstlichen Meisters der Aversionstherapie, der sich derart vor Patienten ekelte, dass er sich in einen großen schwarzen Kasten verkroch; er hörte sich die Patienten nur an, ohne sie in Augenschein zu nehmen. Sehr vernünftige Idee.
    Ich bestellte ein Taxi und ließ mich in die Kreitlerstraße transportieren.
    Ich kannte einen Kreitler aus meiner Bibliothek, er war der Verfasser der verdienstvollen Schrift Die weltanschauliche Orientierung der Schizophrenen . Kein Wunder, dass sich Cordes in dieser Straße niedergelassen hatte.
    Zur zweiten Besuchsrunde trug ich ein schwarzes Sacco mit weißen Streifen von Ermengildo Zegna und cremefarbene Hosen, die Schuhe – lassen wir die Schuhe.
    Der Fahrer war ein dicker Ägypter aus Kairo, sehr redselig.
    Am Rückspiegel baumelte die Photographie von Nasser in Uniform. Auf der Rückseite konnte ich Hitler mit Blondie sehen. Guter Mann, sagte mein Chauffeur, liebte Hunde.
    Weiß nicht, ob er Nasser oder Hitler meinte; aber die Bewunderung Hitlers bei einigen Orientalen ist bekannt.
    Muss nachdenken, sagte ich und reichte ihm 10 Euro für sein Schweigen; er schwieg fortan, vielleicht hatte er Nasser gemeint.
    Der Besuch bei Cordes war kurz, aber aufschlussreich. Er firmierte nur noch als Dr. A. Cordes, Parterre.
    Ich klingelte, und ein kleiner dicker Mann öffnete die Tür – es war wirklich Cordes; in meiner Erinnerung hatte er nicht unter dem Morbus Bechterew gelitten.
    Was, sagte er, kaufe nichts.
    Singram, sagte ich, Arthur Singram, Ex-Patient.
    Macht nichts, erwiderte der alte Herr, hustete in die hohle Hand und stöhnte. Sein Asthma war ihm treu geblieben.
    Ich sei mit seiner Behandlung damals sehr zufrieden gewesen, sagte ich, er habe alle meine selbst entdeckten Symptome, ja den ganzen Komplex positiv interpretiert und mich ermutigt, auf meinem neurotischen Weg fortzufahren, die Ekelreaktionen zu kultivieren und meinen Suchtcharakter zu profilieren.
    Wie, was, wo, sagte Cordes und hüstelte kraftlos.
    Immerhin hatte er seine schwarze Kiste verlassen.
    Ich wollte alles positiv sehen.
    Sie verließen Ihren dunklen Ort der Exploration, sagte ich, Sie empfangen mich … Sie praktizieren nicht mehr … das sind doch alles Fortschritte unter dem Kreuz des Seins.
    DSM, sagte Cordes, gute Lektüre, kann Sie nicht hereinbitten – Damenbesuch.
    Sieh an, dachte ich, auch der alte Cordes erquickt sich noch an der unaufhörlich sprudelnden Quelle des Diagnostischen und Statistischen Manuals psychischer Störungen .
    Mir traten Tränen in die Augen. Ich sagte mit viel Gefühl: Ich fand einmal eine sandfarbene Wurst unter Ihrem Teppich im Ordinationszimmer … eine Exkretion …, sie sah so traurig aus, wie sie so verlassen lag, als habe sie eine Existenzanalyse hinter sich gebracht.
    Dr. Cordes starrte mich aus kleinen blauen Augen an.
    Das funktioniert alles nicht mehr, sagte er, man muss jetzt ganz andere Gifte nehmen … habe den Probanden immer massenhaft verschrieben, sind ja geistig alle irgendwie gestört … mir habe ich Cortison verschrieben … gut gegen Asthma, Allergien und Neurodermitis … Infektionen durch Damenbesuch, der nimmt
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