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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Betablocker gegen Angststörung … irreführender Name – Angst ist keine Störung …!
    Nehmen Sie Amphetamine, sagte ich, die helfen auch bei Asthma.
    Cordes hustete verächtlich.
    Verschrieb ich nur Patienten, sagte der Doktor, deren Stimmen mir nicht passten, nicht jedem!
    Dann reichte er mir seine feuchte Hand, die ich trotz meiner Bazillophobie ergriff, und sagte, ohne zu husten: Singram, Sie waren mein bester Patient, an dem ich viele Kontraindikationen ausprobieren durfte – aber lassen Sie es mich so formulieren … Ihre Leiden, Beschwerden, Allergien und Phobien … die waren erste Klasse. Wenn Sie kamen, war ich in meiner schwarzen Kiste glücklich, wenn auch unfreundlich … Sie waren der Verrückteste unter den unmenschlich Normalen, die da bewusstlos vorsichhinfunktionieren.
    Muss jetzt meinen Ginkgo gießen. Adieu. Machen Sie weiter!
    Und Dr. Cordes schlug die Tür zu.
    Hätte gern gefragt, wie viele seelische Störungen das Manual inzwischen kreiert hatte, sollte er die neueste Auflage in seinem Besitz gehabt haben – aber der Besuch bei Cordes war unter ‹positiv› abzubuchen, so dass ich die Statistik über die neuen innovativen Inventionen nicht brauchte.

 
    107 Bevor ich den Allergiker und für alle Außenstoffe reizbar-empfänglichen Atopiker Hohensee besuchte (alte Adresse in der Nelsonstraße), kaufte ich in einer Apotheke zwei Pollenschutzmasken, sehr weiß, versehen mit einem Klimaventil gegen Schwitzwasser und Hitzestau; war ja möglich, dass ich eine brauchte, vielleicht auch der alte Freund, falls die Kur am Toten Meer nicht erfolgreich gewesen sein sollte. Eine Asiatin in einem violetten Sarong ließ mich in die Wohnung. Man sah nur ihre schönen Augen, Mund und Nase waren geschützt – sie trug ein Prachtmodell von Maske, die mich stark an eine Gasmaske erinnerte –, sie hatte einen CO 2 -Rüssel.
    Tagchen, Arthur, sagte Hohensee, gut, dass du angerufen hast … wir haben eine halbe Stunde, dann wird mein Wasserbett geliefert. Er saß auf einem weißen Plastikstuhl und hatte sich überhaupt nicht verändert. Sein zylindrischer Körper war eingewickelt wie eine frisch balsamierte Mumie; der kahle Schädel leuchtete flammend rot, übersät mit winzigen dunkelroten Pusteln – keine Akne oder so was Billiges –, die blühten oder gerade abstarben.
    Ich war bestürzt – er hatte die Alufolien entfernen lassen … Die Wände waren weiß getüncht wie ein Sektionssaal; ein paar unfreundlich aussehende Stühle standen an der Wand, als warteten sie auf kranken Besuch. Und er hatte keine Maske.
    Ich bot ihm eine an, er lehnte ab.
    Du musst dich schützen, sagte Hohensee, ich bin der Schädling, ich bin der Parasit dieser Welt, ich bin das kranke System im kranken Ganzen. Gehorsam schnallte ich mir das Ding um.
    Dann stellte ich die übliche Frage, wie es ihm ergangen sei, bei Besuchsrunden ein Element der Höflichkeit.
    Du stellst Fragen, sagte Hohensee. Leider könne er mir nichts anbieten, aber erstens hätte ich ja die Maske um, und zweitens sei ohnehin alles toxisch.
    Die Asiatin schwebte wie ein Wölkchen um den Kranken und betupfte die silberweißen Schuppen zwischen den entzündeten Stellen auf seinem Schädel mit einem Wattebausch, während seine rechte Hand unter ihrem Sarong verschwand. Sie tupfte ungerührt weiter auf seinem Echsenkopf voller Vulkane en miniature.
    Sie heißt Yana, sagte er, und sie ist Aromatherapeutin … ein süßes Geschöpf, du müsstest sie einmal ohne Maske sehen, die Freude meines Alters – und er küsste sie auf den CO 2 -Rüssel. Yana kicherte und ging.
    Dir geht es gut, sagte ich, alles blüht, du hast eine schöne Frau, keine Haustiere, die dir Sorgen machen, du bist gelassen, gratuliere.
    Dr. Cordes war früher Choleriker, inzwischen befriedet nach dem Verlassen der schwarzen Kiste. Welche Wut Hohensee in den Jahren akkumuliert hatte, hätte der verständnisvollste Therapeut nicht ahnen können.
    Der nun folgende Monolog, den er mir und vier Plastikstühlen hielt, war lebendig und schön. Ich verließ ihn nur einmal, um mir von Yana in der Küche ein Glas Wasser zu erbitten.
    Mir fiel etwas Positives ein.
    Alle Achtung, sagte ich, dein Rinophym ist verschwunden.
    H. griff sich an die Nase. Ich sah, dass der ängstliche Mann fleischfarbene Latexhandschuhe trug.
    Viel ist verschwunden, sagte er, alles wird einmal verschwinden. Setz dich vor diese weiße Jalousie, da habe ich dich nicht direkt vor Augen. Hör zu.
    In der Grabkammer roch es nach
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