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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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Urin. Ich griff nach einer Schachtel Chesterfield und nahm die Maske ab.
    Lass das, sagte H. und hustete, und hör zu:
    Meine erste Frau verschwand 1981, meine zweite 1991, es war das Unerträglichkeits-Syndrom auf beiden Seiten, man muss gerecht sein. Yana bestellte ich nach dem Katalog eines auf asiatische Frauen spezialisierten Heiratsinstitutes Yin and Yang. Gute Kombination, Yana, sie verlor durch eine Operation ihren Geruchssinn – nützlich in meiner Umgebung, weil ich inkontinent bin, und sie hegt keinen Kinderwunsch. Wir sind auf gewisse Distanz mehr als glücklich.
    Ja, die Frauen, sagte ich, um überhaupt etwas beizusteuern, ich selbst –
    Du sollst hören und nicht sprechen, sagte H., du hast noch nie was von Frauen verstanden …; ich habe viel über die Gesellschaft als Fehlkonstruktion nachgedacht und über die Gewalt ihrer Mechanismen. Reich mir doch bitte das Plastikeimerchen vom Teetisch – hin und wieder braucht mein Gehirn Fischöl, Omega-3-Fettsäuren dämpfen die Wirkung des Gedächtnisschwunds – willst du auch eine? Ich lebe davon. Der bescheuerte Enrico Fermi ließ 1942 die Katze aus dem Sack, nein, öffnete die Büchse der Pandora und den bösen Geist aus der Flasche – ab da gab’s das atomare Zeitalter, Atombombe und Plutonium … Ich will keine Zahlen nennen, aber bis jetzt haben allein Russland und Amerika 230 Tonnen Plutonium für die Sprengköpfe ihrer Nuklearwaffen erbrütet, und ich bin ihr Opfer.
    Du lieber Himmel, sagte ich, bist du verstrahlt irgendwie? Ist es ansteckend?
    Bleib sitzen und höre meine Leiden, Arthur, rief Hohensee.
    Wo war ich? Aja, meine zweite Frau Julia … träge, aber stark. Wegen ihres Kinderwunsches drangsalierte sie mich Tag und Nacht mit ihrer etwas ungepflegten Weiblichkeit. Meine vielen Allergien gehen auf Julia zurück und ihre beiden Angorakatzen, die sich Kinderwünsche unausgesetzt erfüllten. Die Wohnung war voll von diesen üppig haarenden Biestern. Ich hustete wie ein Teufel, mit Quaddeln am ganzen Körper jagte ich die Katzen, lockte eines Tages das Hauptkontingent in unser Schlafzimmer und legte mit einer Kerze am Kopfkissen einen Brand. Julia löschte das Feuer und mich, rettete ihre Katzen und verprügelte mich dann mit ihrer Reitgerte. Sie ritt, ja, sie ritt und sah auf einem Pferd entzückend aus wie eine Amazone. Moment, das wollte ich gar nicht –
    Hohensee versorgte sich wieder mit einer Dosis Omega-3-Fettsäuretabletten. Vielleicht eine Überdosis.
    Um ihn auf interessantere Themen zu bringen, sagte ich da auf meinem Stühlchen: Plutonium, chemisches Symbol PU, radioaktives metallisches Element aus der Reihe der Actinoide des Periodensystems, Ordnungszahl 94.
    Hohensee starrte mich mit seinen roten Augen an, öffnete den Mund und zeigte eine gelbe Zunge.
    Arthur, sagte er dann, du weißt also Bescheid, dann bist auch du ein Element dieser Verschwörung gegen mich. Schon 1992 wurden 968 Tonnen Plutonium durch den Betrieb ziviler AKW erzeugt, und das bei einer Halbwertszeit von 24.400 Jahren – und danach verwandelt sich das teuflische Zeug bei seinem Zerfall in Uran 235, Halbwertszeit, versuche dir das vorzustellen, Arthur, 704 Millionen Jahre!
    Ach, Hermann, sagte ich, da leben wir schon Millionen Jahre nicht mehr, erzähl mir lieber etwas von deiner ersten Frau, die ’81 verschwand.
    Ich warf sie einfach raus, sagte mein Gastgeber, sie achtete meiner inneren Kontaminationen nicht, benahm sich obstruktiv gegen sie, störte meine Studien über Die Gewalt in der Gesellschaft, öffnete permanent alle Fenster, um Pollen einzulassen, und litt unter einem chronischen Infekt – ihre Nase war immer rot und geschwollen, nässte wohl auch –, sie verscherbelte kostbare Bücher, z.B. den illustrierten Katalog der Crystal Palace Exhibition London 1851 an einen allzu verständigen Antiquar in Charlottenburg, und kaufte sich dann bei Douglas Cremes und Parfums, aber eines halte ich ihr zugute – sie hatte keinen Kinderwunsch. Ich darf mich verbessern, ich eskamotierte sie schon 1980 …
    Das Wasserbett wird kommen, muss mich besinnen … Ich frage mich, warum du mir so dumme Fragen stellst … Frauen, pah! Yana, ja. Arthur, ich sage dir, wir sind seit 50 Jahren verseucht … alle Leiden gehen zurück auf dieses Zeug – und du weißt Bescheid … Auch du bist unrettbar kontaminiert, nur deine erstaunliche Unsensibilität, deine Blödheit und dein verräterischer Hang, irgendwie zu funktionieren, haben dich bislang salviert:
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