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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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induzierten Verlauf.
    Wir schlossen die Praxis für einen Tag; Frau Horak panzerte sich mit einer Atemmaske und einer alten Taucherbrille, die wir in der Medikamentenkiste von Curtius fanden, und desinfizierte systematisch mit einer Spritzpistole der Firma Pfizer (Viagra und Euthymol-Zahnpasta) sämtliche Räume, Stühle, Sessel, Kissen, Hundebetten und Katzenwiegen. Hin und wieder schleppte sich die arme Horak in den Raum Jordan und nahm eine Erfrischung zu sich. Das Zeug, das wir so opulent sprühten, war irgendein Sagrotan-Derivat. Es stank entsetzlich nach Essig, tat aber den gepeinigten Schleimhäuten ganz gut; sie schwollen ab, aber olfaktorisch war kein Gewinn dabei, denn nun meldeten die Rezeptoren im entzündeten Riechkolben auch noch Buttersäure. Gegen den Gestank benutzte Frau Horak ein starkes Fliederspray.
    Die Miasmen besiegten auf Zeit die unsichtbaren Allergene. Während sich Anita jede Stunde an einem uralten Tullamore labte, schraubte ich mein frisch gedrucktes, erweitertes Therapieangebot, in einer seriösen Garamond, auf 20 Punkt gesetzt, an die Praxistür:
    Feldenkrais-Stimmarbeit
    Meditationsübungen nach Graf Dürckheim
    Tierkommunikation, auch medial
    Der positive Impuls
    Aversions-Therapie, fakultativ
    Aqua-Energetik-Kurse für Goldfisch-Funktionsstörungen
    Triebdämpfungstraining nach Dr. Chesser und Dr. Brohm
    Körpererfahrung und Heilfasten
    Anti-Angstlust-Training
    Kreative Grenzerfahrung
    Rebirthing
    Overcross-Feeling-Kurse
    Sterbehilfe
    Tierbestattung zu sozialen Preisen
    Trauerarbeit
    In diesen öden Zeiten muss man expandieren; ein derartiges Programm für Bedürftige konnte man in jeder Metropole der Welt lange suchen. Wir waren an der Spitze der Innovation.
    Mit viel Energie gingen wir im Zimmer Jordan die zweite Flasche Whiskey an, einen schmackhaften Bourbon aus Kentucky.
    Frau Anita Horak, meine Assistentin, machte die schreckliche Entdeckung, als sie in der Sargkonsole der Bar nach Eiswürfeln suchte, und sagte geistesgegenwärtig mit einem glasigen Blick auf den Teppich von Ikea, Serie Gustavson:
    Da! Da!
    Ich kann mir vorstellen, dass anderthalb Flaschen zusammen mit chemischen Giften, den Gerüchen etc. auf den Organismus ungut einwirken, vor allem auf die Wahrnehmung der Umgebung.
    Frau Horaks Mund stand offen. In der Nummer IV unten links hatte sie eine grüne Plombe.
    Ich sah, was sie gesehen hatte, kleine Insekten, die da von einem Ort zum anderen strömten, auch Ameisen genannt. Wir mussten gar nicht bei Sir Gallahad nachschlagen, es handelte sich um die ursprünglich indolenten Pharao-Ameisen, die der Proband in Pension gegeben hatte, Singular Monomorium pharaonis nach der Linnéschen Taxonomie.
    Es sind so viele, sagte Anita, was tun?
    Versuchte damals, die Zahl der Migranten zu schätzen, unmöglich. Gut, die 10.000 Xenophons aus der Anabasis hätte ich als kleinen Schadensfall hingenommen, aber was da in vier gegenläufigen Strömen in Bewegung war, überstieg jede alkoholindizierte Vision.
    Anita, sagte ich, das sind keine kranken Asylanten mehr, diese Tierchen, das sind jetzt Okkupanten, Eroberer, Krieger, Arbeiter; gottlob haben sie noch keine Religion etabliert, denn sie haben ja nur ein Prinzip internalisiert, und das stammt vom großen Philosophen Carlyle, und es heißt: Arbeiten und nicht verzweifeln.
    Ich arbeite, sagte Anita, und ich bin verzweifelt.
    Auch ich war verzweifelt. Da macht man die Praxis eines Blödkopfs wieder flott, und dann so was.
    Das Hauptnest befand sich im Staubbeutel eines selten benutzten Hoover; das Terrarium neben dem Plastikleib des Apparates war verlassen. Das Volk hatte expandiert; überall rege Tätigkeit in allen Zimmern und in allen Himmelsrichtungen.
    Es sind Millionen, sagte meine Assistentin.
    Der Schrecken der großen Zahl; zu viele Menschen, zu viele Schäden, zu viele Ideen, zu viele Therapien, die nicht fruchteten. Die Pharao-Ameisen gaben mir den Rest. Ich sage als Moralist und Amateur-Therapeut: Alle Tiere, egal, an welchen Leiden sie laborieren, endogen oder exogen, lassen sich therapieren, wenn sie einen guten Charakter haben. Ist der Besitzer blöde, ist’s das Tier noch lange nicht. Pharao-Ameisen sind nicht therapierbar, vor allem nicht in Habitaten, in denen sie sich wohlfühlen, weil sie ihrer Arbeit nachgehen. Sie sind austherapiert, das ist ihr Schicksal, wie das von wilden Tieren im Zoo. Ich selbst hätte gern eine andere Arbeit gehabt und eine Therapie; aber welche?
    Frau Horak wollte das Volk nach der
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