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Traumtagebuecher

Traumtagebuecher

Titel: Traumtagebuecher
Autoren: Jean Sarafin
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nicht nur mit Blicken zu töten. Aber da musste er sich hinten anstellen, denn Davids Stimme, die aus dem Direktoratszimmer klang, wurde noch lauter. Trotzdem waren durch die trübe Milchglastür keine einzelnen Worte zu verstehen. Dem Tonfall nach zu urteilen war er sehr, sehr wütend. Vermutlich auf mich.
    Die Tür wurde aufgerissen und David funkelte mich an, was meine Theorie bestätigte. »Komm!«
    »Bitte!«, ergänzte ich hilfsbereit, während ich aufstand. Obwohl David meiner Ergänzung um Höflichkeit nicht nachgekommen war, entschloss ich mich, mein Glück nicht weiter herauszufordern. Ich mochte aggressiv sein und ein Autoritätsproblem haben, aber ich war nicht dumm.
    Als ich den Raum betrat, strahlte mich Direktor Simons an. Der kleinwüchsige Asiate war der beste Freund meines Stiefvaters und strahlte im Prinzip immer, deswegen nahm ich es nicht persönlich.
    »Schon wieder eingelebt und die Koffer ausgepackt?« Er reichte mir die Hand, was David zu einem Schnauben veranlasste.
    »Halbwegs … beides.«
    »Ich hörte, es hat einen … Unfall mit deinem Spind gegeben?«
    »Jemand hat ihm eine neue Nummer gegeben.«
    »Sehr originell …«
    »Ja …«
    Wir schwiegen uns an, bis die Stille bedrückend wurde. Das war das Problem mit Simons, er schien immer ein bisschen mehr zu wissen, als man selbst. Und im Moment wusste er ganz genau, auf wessen Kappe die 666 ging.
    »Du hast dich ohne Passierschein während der Schulstunde auf dem Flur aufgehalten?«
    Ah … Simons schlich zum wahren Grund meiner Anwesenheit! Ich gab mir Mühe, nicht sofort schuldbewusst zu wirken. »Ich habe mich in der Zeit vertan und auf der Toilette die Klingel überhört.«
    »Und ganz zufällig bist du dann ausgerechnet auf Jonah gestoßen?!«
    Wer hätte gedacht, dass der nette, stets gut gelaunte Simons so sarkastisch werden konnte?
    »Sie gibt ihm immer noch die Schuld und wer weiß, was sie getan hätte …«, unterbrach David, ließ den Satz aber offen und beobachtete meine Reaktion.
    Ich kochte über. Ohne jede Vorwarnung.
    »Vielleicht weil dein toller Freund schuldig ist!«, fauchte ich.
    »Wie immer … du …«
    Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, da sich Simons zwischen uns stellte. Die Unterbrechung des Blickkontaktes war wie das Zurückswitchen in die Wirklichkeit. Hier gab es Regeln und Strafen.
    »Beruhigt euch, Kinder!«
    Ich knirschte mit den Zähnen im Versuch, ihm nicht zu sagen, er könne sich sein »Kinder« sonstwohin stecken. Nur weil wir uns schon seit 8 Jahren kannten und er ein Freund meiner Stiefeltern war, durfte er mich noch lange nicht so nennen. Schließlich war ich nicht SEIN Kind. Oder überhaupt einer lebendigen Seele Kind.
    »Sie hat ihn tätlich angegriffen.«
    Simons hob eine Augenbraue. Das hatten Jonah und der frühe Schlumpf ihm anscheinend nicht gesagt.
    »Er hat mir etwas geraubt … und ich habe es mir zurückgeholt«, korrigierte ich.
    »Oh ja … Jonah ist sechs Jahre lieb und nett und ein guter Freund und sobald er dich sieht, beginnt er WIEDER zu stehlen.« So wie David das »wieder« betonte, war klar, was er von der Idee hielt, dass sein lieber, netter, guter Freund schon immer ein Dieb gewesen war.
    »Nicht WIEDER.« Ich zog die Uhr aus meiner Hosentasche und reichte sie Simons. Er betrachtete sie kurz und verließ dann seinen Platz zwischen David und mir, um hinter seinen Schreibtisch zu gehen.
    »Das ist …« Simons öffnete seine oberste Schreibtischschublade und kramte ein Brillenetui hervor.
    »… nicht dieselbe Taschenuhr«, unterbrach David abermals und mit einer Selbstsicherheit die ich zum Kotzen fand.
    »… was du ihm im Flur abgenommen hast?«, vollendete Simons ohne auf Davids Einwand zu reagieren.
    Ich sah meinen Stiefbruder an und plötzlich spürte ich die Müdigkeit, die ich seit Jahren in mir trug, sie überrollte mich und spülte jedes andere Gefühl fort. Sie schloss alles mit ein, jede Empfindung, jeden Gedanken, meine gesamte Vergangenheit.
    »Und warum ist dann mein Name auf der Rückseite eingraviert?« Selbst meine Stimme klang müde und resigniert. Meine Vergangenheit war vorbei. Ich würde sie niemals wiederbekommen. Was hatte ich gedacht, wie ich mich fühlen müsste? Ich ließ mich auf einem der schwarzen Stühle nieder, die sich vor Simons` Schreibtisch befanden. Dass David noch immer stand und mich überragte, machte mir mit einem Mal herzlich wenig aus. Ich beobachtete den Rektor, der die Uhr umgedreht hatte und die geschwungenen Buchstaben
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