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Traumschlange

Titel: Traumschlange
Autoren: Vonda N. McIntyre
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an.«
    »Hilf mir«, flüsterte er. »Ich habe diesen Ort entdeckt, ich habe seine Geschöpfe benutzt, um anderen zu helfen, und nun soll ich keine Hilfe verdienen?«
    Flehentlich sah er Schlange an, aber sie unternahm nichts. Plötzlich stöhnte er auf und sprang nach der Traumschlange, packte sie mit einer Hand und ließ sie in seine andere Hand beißen. Er wimmerte, als die Giftzähne in sein Fleisch stachen, einmal, zweimal. Schlange entfernte sich von ihm, aber er schenkte ihr ohnehin keine weitere Beachtung. Sie ging wieder zum großen Weidenkorb. Die Traum-schlangen hatten unterdessen aus eigenem Antrieb herauszuklettern begonnen. Eine glitt über den Korbrand und fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Erdboden. Dann überwanden mehrere zugleich den Rand, und einige Zeit später wälzten sie sich knäuelweise, in Klumpen und Garben, aus dem Korb und kippten ihn um. Sämtliche Schlangen wimmelten in einem ruhelosen Haufen heraus. Aber Melissa war nicht im Korb. North hastete an Schlange vorüber, ohne der Heilerin die geringste Aufmerksamkeit zu widmen, und schob seine bleichen, von Blut fleckigen Unterarme in den großen Haufen von Traumschlangen. Schlange packte ihn und riß ihn herum.
    »Wo ist sie?«
    »Was...?«
    Er streckte sich schwächlich nach den Traumschlangen; seine wäßrig hellen Augen waren glasig.
    »Melissa – wo ist sie?«
    »Sie träumte...« Er stierte die Traumschlangen an. »Mit ihnen...«
    Irgendwie mußte Melissa entkommen sein. Irgendwie hatte ihre Willensstärke North widerstanden, ihm und dem Schlangengift, der Verlockung des Vergessens.
    Schlange blickte noch einmal rundum, hielt nach dem Mädchen Ausschau; sie sah alles mögliche, bloß nicht, was sie zu sehen wünschte. North stöhnte laut vor Gier, und Schlange ließ ihn los. Er grapschte nach Traumschlangen, die fort in das Wäldchen krochen. Seine Arme schienen mit blutigen Nadelstichen übersät zu sein, und von jedem seiner Geschöpfe das er wieder einfing, ließ er sich erneut beißen.
    »Melissa!« rief Schlange, aber sie bekam keine Antwort. Auf einmal stieß Northein Ächzen aus ; im nächsten Moment gab er ein sonderbares Stöhnen von sich. Schlange sah sich über die Schulter um. North richtete sich gerade langsam auf, in seinen blutigen Händen eine Traumschlange, und zwei dünne Blutrinnsale sickerten aus einem Biß in seiner Kehle. Seine Haltung verkrampfte sich, die Traumschlange krümmte sich in seinen Händen. North fiel auf die Knie und schwankte. Dann sackte er vornüber nieder und blieb reglos liegen, seine Kräfte schienen aus ihm zu entfliehen, so wie seine Traumschlangen in das fremdartige Wäldchen entwichen. Gewohnheitsmäßig begab sich Schlange zu ihm, um ihn zu untersuchen. Er atmete regelmäßig. Der weiche Aufprall hatte ihn nicht verletzen können. Schlange überlegte, ob das Gift auf ihn ähnlich wirken mochte wie auf seine Anhänger. Aber wenn es sich nicht so verhielt, wenn seine Furcht davor womöglich eine nachteilige Reaktion verursachte, konnte sie nichts für ihn tun.
    Die Traumschlange, die er noch zwischen den Fingern hielt, entwand sich seinem Griff und warf sich umher. Schlanges Atem stockte, als Erinnerung und Kummer sie befielen. Die Wirbelsäule der Schlange war gebrochen. Schlange kniete sich nieder und tötete sie so, wie sie Gras getötet hatte.
    Den Geschmack ihres Blutes noch kalt und salzig auf den Lippen, warf sie sich ihren Weidenkorb am Gurt über die Schulter und rückte ihn zurecht. Sie vergeudete keinen Gedanken daran, woanders nach Melissa zu suchen als auf dem Weg, den sie beim Betreten der Kuppel genommen hatten, und daher schlug sie die Richtung zum Loch in der Kuppel ein. Die Bäume warfen tiefere, dunklere Schatten als beim ersten Mal, als Schlange sie unterquerte, und der Pfad zwischen ihnen war enger und niedriger. Schlange schritt so schnell wie möglich aus, während auf ihrem Rücken eine Gänsehaut nach der anderen entstand. Der fremdartige Baumbestand, der sie umgab, konnte alle möglichen Kreaturen beherbergen, von Traum-schlangen bis zu irgendwelchen lautlosen Raubtieren. Melissa war vollständig ungeschützt; sie besaß nicht einmal mehr ihr Messer. Als Schlange schon glaubte, sie habe den falschen Weg genommen, erreichte sie den Felssims, wo der Verrückte sie hintergangen hatte. Von Norths Aufenthaltsort bis zu dieser Stelle war es eine lange Strecke, und Schlange fragte sich, ob Melissa überhaupt so weit gelangt sein könne.
    Vielleicht hat sie sich
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