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Traumschlange

Titel: Traumschlange
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Greifen nahe vor ihr stand.
    »Arevin?«
    »Was ist geschehen? Wer hat dir das angetan? Der Verrückte?«
    »Er ist in der Kuppel«, sagte sie. »Mit einigen anderen seines Schlages. Gegenwärtig sind sie keine Gefahr. Dies ist Melissa, sie befindet sich in einem Schockzustand. Ich muß sie zum Lagerplatz bringen... Arevin, bist du‘s wirklich?«
    Er hob Melissa von ihrer Schulter; im einen Arm hielt er Schlanges Tochter, mit der anderen Hand stützte er Schlange.
    »Ja, ich bin es wirklich. Ich bin hier.«
    Er geleitete sie über die Wiese. Als sie die Stelle erreichten, wo Schlanges Habseligkeiten aufgehäuft lagen, ließ er sie los und streckte Melissa aus. Schlange kniete sich vor ihre Schlangenschachtel und öffnete sie, klappte mit zittrigen Händen das Medizinfach auf. Arevin senkte seine Hand sanft auf ihre unverletzte Schulter.
    »Laß deine Wunde von mir behandeln«, sagte er.
    »Ich bin wohlauf«, sagte sie. »Das erledigt sich schon. Es geht um Melissa...« Sie hob den Blick und erstarrte, als sie den Ausdruck seiner Augen wahrnahm.
    »Heilerin«, sagte er, »Schlange, meine Freundin...«
    Sie versuchte aufzustehen; er wollte sie zurückhalten.
    »Für sie kannst du nicht länger irgend etwas tun.«
    »Nicht länger...?« Sie raffte sich auf.
    »Du bist verwundet«, sagte Arevin verzweifelt. »Das Kind jetzt anzuschauen, müßte auch noch deine Seele verwunden.«
    »O ihr Götter«, sagte Schlange. Arevin versuchte sie noch immer zu hindern. »Laß mich los!« schrie sie.
    Erschrocken trat Arevin beiseite. Schlange verschwendete keine Zeit mit einer Entschuldigung. Schlange wollte sich von niemandem beschützen lassen, nicht einmal von ihm; das wäre zu leicht, eine zu große Versuchung.
    Melissa lag im tiefen Schatten einer Kiefer. Schlange kniete sich auf die dicke Matte brauner Nadeln. Arevin blieb hinter ihr stehen. Schlange nahm Melissas kalte, bleiche Hand. Das Kind bewegte sich überhaupt nicht. Es hatte sich am Erdboden dahingeschleppt, die Fingernägel in den Untergrund gekrallt, hatte keine Mühe gescheut, um das abgelegte Versprechen zu halten. Melissa hatte die Schlange gegebenen Versprechen weit besser gehalten als Schlange die ihrigen.
    Schlange beugte sich vor und streifte Melissas rotes Haar von der schrecklichen Narbe. Schlanges Tränen fielen auf Melissas Wange.
    »Es ist zu spät«, bekräftigte Arevin. »Ihr Puls schlägt nicht länger.«
    »Scht«, machte Schlange; noch immer suchte sie nach dem Pulsschlag, an Melissas Handgelenken, an ihrem Hals, bisweilen glaubte sie ihn zu spüren, dann wieder nicht.
    »Schlange, du darfst dich nicht so quälen. Sie ist tot. Sie ist eiskalt.«
    »Sie lebt.«
    Sie ahnte, daß er befürchtete, sie verliere aus Kummer den Verstand; er rührte sich nicht und blickte traurig zu ihr herab.
    »Hilf mir, Arevin«, wandte sie sich an ihn. »Vertraue mir. Ich habe von dir geträumt. Ich glaube, ich liebe dich. Aber Melissa ist meine Tochter und meine Freundin. Ich muß sie zu retten versuchen.«
    Unter ihren Fingern ließ sich phantomhaft schwach der Pulsschlag wahrnehmen. Melissa war sooft gebissen worden... aber die Beschleunigung des Metabolismus, die das Schlangengift auslöste, war inzwischen vorüber, und nun war ihre Körpertätigkeit, statt sich auf das normale Maß einzupendeln, so weit abgesunken, daß das Leben nur mit Mühe erhalten blieb. Und hoffentlich bleibt es auch ihr Geist, dachte Schlange. Ohne Beistand mußte Melissa an Erschöpfung und Unterkühlung sterben, fast so wie durch Erfrieren.
    »Was soll ich tun?« Sein Tonfall bezeugte Resignation und Bedrücktheit.
    »Faß mit an.«
    Schlange breitete Decken über einen breiten, flachen Felsen, der den ganzen Tag lang die Wärme des Sonnenlichts aufgesaugt haben mußte. Ihre Schwerfälligkeit, eine Folge ihrer Ermattung, erwies sich bei jedem Handgriff als Hemmnis. Arevin hob Melissa auf und bettete sie auf die warmen Decken. Schlange verließ ihre Tochter für einen Moment und schüttete den Inhalt ihrer Satteltaschen aus. Sie warf den Paraffinkocher, den Kochtopf und die Feldflasche Arevin zu, der ihr Verhalten mit sorgenvoller Miene beobachtete. Sie hatte noch gar nicht die Zeit gehabt, um ihn eingehender zu betrachten.
    »Bitte erhitze etwas Wasser, Arevin. Nicht zuviel.« Mit den Händen zeigte sie ungefähr die Menge an, die sie meinte. Aus dem Medizinfach der Schlangenschachtel holte sie ein Päckchen Zucker. Dann eilte sie zurück an Melissas Seite und versuchte sie zu wecken. Ihr
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