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Traumschlange

Titel: Traumschlange
Autoren: Vonda N. McIntyre
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beobachtet hatte. Vorerst war sie jedenfalls frei. Sie knöpfte ihre Brusttasche auf und untersuchte den Traumschlangenwinzling; sie vermochte es kaum zu glauben, daß die Strapazen ihn unversehrt gelassen hatten.
    Sie knöpfte die Tasche wieder zu, wählte aus einem ganzen Stapel neben der Felsspalte einen Korb und tat die ausgewachsenen Traumschlangen hinein. Sie nahm den Korb über die Schulter, erhob sich zittrig und ging hinüber zu den Stollenmündungen, welche die Schlangengrube umgaben und den Kraterwall durchlöcherten. Aber die Stollenöffnungen wirkten nun ringsum wie unendlich viele Spiegelbilder, und sie konnte sich nicht entsinnen, durch welchen Zugang man sie hereingeführt hatte. Es mußte einer der Stollen gegenüber dem einzigen, dicken Kühlrohr gewesen sein, aber der Krater war so groß, daß jede der drei möglichenÖffnungen jene sein mochte, die sie suchte. Vielleicht ist es besser so, dachte Schlange. Kann sein, daß sie immer denselben Stollen benutzen und ich ihnen aus dem Wege gehe, wenn ich einen anderen nehme. Möglicherweise ist die Gefahr, daß ich jemandem in die Arme laufe, aber auch in allen Stollen gleich groß, oder womöglich sind alle anderen bloß Sackgassen.
    Ohne weitere Umstände betrat Schlange den linken der drei fraglichen Stollen. Drinnen sah es anders aus als in jenem, an den sie sich erinnerte, doch lag das wahrscheinlich nur daran, daß mittlerweile der Reif geschmolzen war; allerdings gab es auch in diesem Tunnel Fackeln, so daß Norths Leute ihn zu irgendeinem Zweck benutzen mußten. Die Mehrzahl war jedoch zu Stummeln herabgebrannt, und Schlange schlich von einem unsteten Flämmchen zum nächsten schwachen Lichtschein, tastete sich mit der Hand an der Wand entlang, so daß sie sofort kehrtmachen konnte, wenn dieser Gang nicht nach draußen führte. Jeder Helligkeitsschimmer konnte das Ende des Stollens sein. Aber jedesmal gelangte sie lediglich an eine weitere niedergebrannte Fackel. Der Stollen schien kein Ende nehmen zu wollen. Wie mitgenommen sie derzeit gewesen war, wie ermattet sie auch jetzt noch war, sie wußte genau, daß der Stollen, durch den man sie hereinbrachte, nicht eine solche Länge besessen hatte. Mit einem Licht versuche ich es noch, dachte sie. Und dann...? Rußiger Rauch schwebte durch die Luft, aber er verwies nicht einmal auf einen Luftzug, der ihr die Orientierung erleichtert hätte. Bei der nächsten Fackel blieb sie stehen und wandte sich um.
    Hinter ihr war nichts als Schwärze. Entweder waren die übrigen Flämmchen, an denen sie vorbeigekommen war:, nun erloschen, oder sie war um eine Biegung gelaufen, die sie ihrem Blick entzog. Doch sie vermochte sich nicht dazu durchzuringen, den Rückweg anzutreten. Sie durchmaß eine beträchtliche Strecke völliger Finsternis, ehe sie den nächsten Lichtschein glimmen sah. Sie wünschte sich eindringlich, es möge das Tageslicht sein, sie schloß mit sich selbst Handel und Wetten, ab, daß es das Tageslicht sei, doch noch bevor sie die Lichtquelle erreichte, erkannte sie, daß sie sich bloß einer weiteren Fackel näherte. Sie war beinahe erloschen; nur unruhige Glut war noch vorhanden. Schlange roch den ätzenden Rauch einer verlodernden Flamme. Sie fragte sich, ob sie auf diesem Weg lediglich zu einer zweiten Grube geriet, bloß diesmal einer, die im Dunkeln lag. Fortan schritt sie vorsichtiger aus, schob erst einen Fuß nach vorn, ohne sofort ihr Körpergewicht auf ihn zu verlagern, bis sie dessen sicher war, festen Boden vor sich zu haben. Der darauffolgenden Fackel schenkte sie kaum noch Beachtung. Sie verbreitete nicht einmal genug Helligkeit, um ihr den weiteren Weg zu weisen. Der Korb schien immer schwerer zu wiegen; eine allgemeine körperliche Reaktion auf die vorangegangenen Ereignisse setzte ein. Ihr Knie schmerzte stark, und auch der Schmerz in ihrer Schulter war wieder so heftig, daß sie die Hand in ihren Gürtel schob und den Arm an den Leib drückte. Während sie ihres ungewissen Weges schlurfte, fand sie sich damit ab, daß sie ihre Füße wahrscheinlich sowieso nicht höher hätte heben können, als es ihr die Vorsicht riet.
    Plötzlich stand sie im Hellen auf dem Abhang der Anhöhe zwischen den verwachsenen Bäumen. Fassungslos blickte sie rundum, dann streckte sie die linke Hand aus und berührte rauhe Baumrinde. Mit einer wundgeschürften Fingerkuppe, deren Nagel abgebrochen war, rührte sie an eines der zierlichen Blätter. Am liebsten hätte sich Schlange jetzt hingesetzt,
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