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Traumschlange

Titel: Traumschlange
Autoren: Vonda N. McIntyre
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Antwort.
    Während die beiden Männer gingen, bewegte sich Schlange gerade genug, um mit einer Hand die Tasche ihres Kleides abzutasten. Irgendwie war die winzige Traumschlange noch immer unversehrt; sie spürte unter ihren Fingern, unter dem Stoff, ihre langsamen, gemächlichen Regungen. Sie begann zu glauben, daß auch die Jungschlange, sollte es ihr selbst jemals gelingen, lebend aus der Grube zu entwischen, heil davonkommen werde. Oder vielleicht umgekehrt. Ihre Hand zitterte; sie senkte sie, um das Tierchen nicht unnötig zu verängstigen. Behutsam wälzte sie sich auf den Rücken und starrte himmelwärts. Der Rand der Grube schien ungeheuer hoch über ihr zu sein, als wären die Felswände mit jedem Versuch, sie zu erklimmen, noch angewachsen. Aus ihrem Augenwinkel rann ihr eine heiße Träne über die Schläfe ins Haar.
    Als sie sich wieder aufsetzte, geschah es urplötzlich und mit einem heftigen Ruck. Das Erheben fiel ihr schwerer und verlief umständlicher, aber dann stand sie wiederum im Winkel zwischen den Felswänden und blickte geradeaus auf die Wand gegenüber. Die zerschürften Stellen ihres Rückens schabten ziemlich übel über den Fels, und die Wunde in ihrer Schulter stand gefährlich dicht davor, sich wieder zu öffnen. Ohne nach oben zu schauen, stemmte Schlange einen Fuß an die jenseitige Wand, spannte ihre Muskeln, setzte den anderen Fuß an und begann den Aufstieg noch einmal. Während sie immer höher kletterte, spürte sie den Stoff ihres Kleids an den Schultern zerreißen. Das verknotete Kopftuch erhob sich an dem Stoffstreifen vom Felsboden und rutschte unter ihr die Felswand hoch. Das Bündel fing an zu baumeln; es war gerade schwer genug, um ihr Gleichgewicht zu beeinträchtigen. Sie unterbrach ihren Aufstieg, wie eine vom Nichts ins Nichts gespannte Brücke, bis die Pendelbewegung zum Stillstand gekommen war; die Anspannung ihrer Beinmuskulatur wuchs, bis sie kaum noch die Felswand unter ihren Fußsohlen spürte. Sie wußte nicht, wie groß der Abstand zum Rand der Grube noch war, und sie verweigerte sich einen Blick nach oben.
    Aber auf jeden Fall war sie bereits höher, als sie bei den beiden vorherigen Versuchen hinauf gelangt war; die Felswände des Winkels klafften weiter auseinander, als sie den Aufstieg fortsetzte, und das Klettern kostete immer mehr Mühe. Mit jedem kurzen Stück, um das sie ihre Füße weiter aufwärts setzte, mußte sie ihre Beine ein bißchen mehr strecken. Endlich hielten allein ihre Schultern, ihre gegen den Fels gepreßten Hände und die Ballen ihrer Füße sie noch zwischen den Wänden. Viel höher konnte sie nun nicht gelangen. Unter ihrer rechten Hand war der Fels feucht von Blut. Unter Aufbietung aller Kräfte ruckte sie ein letzte Mal aufwärts. Und da rutschte unvermittelt ihr Nacken über den Rand der Grube, und sie sah den felsigen Boden ringsum, die schroffen Innenhänge des künstlichen Kraters mit ihren Stollen, den Plastikhimmel. Die plötzliche Verschiebung ihres Blickfelds brachte sie beinahe um ihr Gleichgewicht. Sie warf den linken Arm nach oben, stützte sich mit dem Ellbogen auf den Felsrand, dann mit der Hand. Ihr Körper vollführte eine Drehung, und sie griff mit der rechten Hand nach. Die Wunde ihrer Schulter versetzte ihr einen Stich, den sie von der Wirbelsäule bis in die Fingerspitzen spürte. Sie krallte die Fingernägel in den Untergrund, rutschte rückwärts. Sie tastete verzweifelt nach einem Halt für ihre Zehen und fand ihn. Einen Moment lang hing sie am Grubenrand, schnappte nach Luft und spürte über ihren Hüftknochen, wo sie gegen die Felswand geprallt war, als sie sich drehte, den dumpfen Schmerz frisch im Entstehen begriffener Blutergüsse.
    Oberhalb ihrer Brust bekam das Traumschlangenjunge einigen Druck ab, aber es war nicht zerquetscht worden, sondern rührte sich nur in gewissem Mißbehagen. Mit den letzten in ihren Armen verbliebenen Kräften schwang sich Schlange über die Felskante und lag dann waagerecht ausgestreckt und keuchte, während ihre Waden noch über dem Abgrund baumelten. Gleich darauf kroch sie ganz heraus. Der Stoffstreifen, an dem das Bündel mit ihren Traumschlangen hing, schleifte über die Felskante, dehnte sich, zerfranste. Schlange hob ihn heraus und legte das Bündel neben sich. Dann erst, eine Hand auf den erbeuteten Schlangen, während die andere Hand den Untergrund beinahe streichelte, wagte sich Schlange umzuschauen, um sich zu vergewissern, daß niemand ihr Entweichen aus dem Schlund
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