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Traumjäger (German Edition)

Traumjäger (German Edition)

Titel: Traumjäger (German Edition)
Autoren: Ulrike Talbiersky
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Hand hielt ich die Orange, die ich gerade aufgefangen hatte. Schnell ließ ich sie sinken. Wie war das möglich? Ich hatte doch nur geträumt! Natürlich. Ich konnte ja nicht wirklich in Rom gewesen sein! Aber wieso hielt ich eine Orange in der Hand? Könnt ihr euch vorstellen, wie verwirrt ich war? Ich hatte damals ja keine Ahnung!
     
    Als die Stunde vorbei war, bat mich Frau Schönlein zu sich nach vorne. Mein Herz sank, als ich langsam zu ihrem großen Pult schritt. Ein Zwiegespräch mit der Lehrerin – das konnte ja nichts Gutes bedeuten.
    Frau Schönlein schaute eine Weile nachdenklich auf mich herab. Die Brille hing tief auf ihrer Nase, sodass sie über den Brillenrand blickte. Dann seufzte sie und lehnte sich im Stuhl zurück.
    „Andreas Muskert. Was soll ich nur mit dir machen?“
    Verwundert blickte ich sie an. Doch bevor ich mir irgendeine Antwort überlegen konnte, stand sie auf und ging staksigen Schrittes hinter dem Pult auf und ab.
    „Du musst anfangen, dich mehr in den Unterricht einzubringen.“, sagte sie schließlich. „Deine mündliche Beteiligung ist mangelhaft. Und wenn du dich bemerkbar machst – was leider selten genug vorkommt – dann ist es irgendein Unsinn.“ Sie beugte sich vertraulich ganz dicht zu mir. „Was sollte das denn vorhin mit der Orange?“
    „Ich, ähm, ich… es tut mir leid.“, druckste ich herum. Bestimmt hätte sie mir nicht geglaubt, wenn ich ihr erzählt hätte, dass ein italienischer Obsthändler in Rom sie mir zugeworfen hatte. Nicht einmal ich selbst glaubte es zu diesem Zeitpunkt. Es war ja auch gar nicht möglich. Außerdem war es mir unangenehm zuzugeben, dass ich während ihres Unterrichts geträumt hatte.
    Frau Schönlein schüttelte müde ihren Kopf. „Lass nur, Andreas“, winkte sie ab. „Ist schon gut. Aber vielleicht tauschst du nach den Ferien einfach mal mit Carsten die Plätze. Dort hinten in der letzten Reihe bist du mir zu unscheinbar. Ja, manchmal habe ich sogar das Gefühl, du bist überhaupt nicht hier!“
    Oh, wie recht sie damit hatte! Wie recht, dass war weder ihr, noch mir damals bewusst!
    Ich musste ihr versprechen, mich im nächsten Quartal nach den Herbstferien mehr anzustrengen. Dann entließ sie mich mit dem zufriedenen Lächeln einer Lehrerin, die sich um alle ihre Schäfchen kümmerte. Auch um die kleinen schwarzen.

Kapitel 3

    Das Gemälde

    D en Rest des Tages verbrachte ich auf meinem Zimmer. Lesend. Ich las die Abenteuer des Huckleberry Finn von Mark Twain. Zwar kannte ich das Buch bereits in- und auswendig – es war eines meiner Lieblingsbücher – aber ich finde, gute Bücher kann man ruhig mehrmals lesen, ohne dass sie langweilig werden. Huckleberry hat übrigens wie ich auch einen guten Freund, der Tom heißt. Tom Sawyer. Auch über ihn gibt es ein tolles Buch. Ich frage mich, ob jemand auch einmal über meinen Tom und mich schreiben wird. Abenteuer erleben wir schließlich auch. Das würde mir wirklich gefallen!
    Jedenfalls las ich heute nicht sehr konzentriert. Ab und zu legte ich das Buch sogar zur Seite und betrachtete nachdenklich die Orange, die ich auf den Schreibtisch gelegt hatte. Ich warf sie ein paar Mal spielerisch in die Luft und fing sie wieder auf. Vielleicht erwartete ich, dass die Frucht, wenn ich sie nur hoch genug warf, einfach wieder verschwinden würde. Eben genauso plötzlich und unerklärlich wie sie aufgetaucht war. Doch sie fiel plump zurück in meine Hand. Ich strich vorsichtig mit dem Zeigefinger über die raue Schale. Kein Zweifel, die Orange war echt. Sie roch sogar richtig lecker nach Orange. Aber essen wollte ich sie trotzdem nicht.
    Spät am Nachmittag fing es an zu regnen. Erst leise und sanft, dann immer heftiger. Unaufhörlich. Ein lebendiger, glitzernder Vorhang schob sich träge an meinem Fenster vorbei. Aufgrund der tropfenschweren, dichten Wolken wurde es früher als gewöhnlich dunkel. Ich beschloss, bald ins Bett zu gehen. Ihr wisst ja selber, wie gemütlich es ist, sich in eine wohligwarme Decke zu kuscheln, wenn es draußen so nass und kalt und dunkel ist. Ich schloss die Augen und lauschte dem gleichmäßigen Trommeln der Tropfen. Leise klopfend, lockend, perlten sie an der Fensterscheibe ab, während andere laut klatschend, drängelnd, auf das Fensterbrett fielen: dom, dom, komm, komm … Der eintönige Rhythmus machte mich müde. Doch Schlaf fand ich keinen. Zu viel ging in meinem Kopf vor. Unruhig wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. Hin und wieder knipste ich
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