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Traumjäger (German Edition)

Traumjäger (German Edition)

Titel: Traumjäger (German Edition)
Autoren: Ulrike Talbiersky
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das Licht meiner Nachttischlampe an, um mich zu vergewissern, dass die Orange noch immer auf ihrem Platz auf dem Schreibtisch lag. Sie war da. Jedes Mal. Ich hatte sie mir also nicht eingebildet.
    Vielleicht kennt ihr das auch: Je länger man nachts wach liegt, desto weniger traut man seinen eigenen Gedanken. Irgendwann, es war bestimmt schon weit nach Mitternacht, schlief ich aber doch ein. Und ich träumte.

    Ich stand allein in einem riesigen, leeren Saal. Diffuses Licht durchflutete den Raum, dessen Decke von hohen, verzierten Marmorsäulen gestützt wurde. Möbel gab es hier keine. Aber etliche alte Gemälde hingen an den noch älteren Steinwänden. Da waren Portraits in wuchtige Rahmen gefasst. Ehrwürdige Herrschaften, die sich vor Jahrhunderten in edler Ölfarbe hatten verewigen lassen, starrten erhaben und vornehm auf mich herab, während ich an ihnen vorbeischritt. Fast hatte ich das Gefühl, sie warfen mir vor, ihre Ruhe gestört zu haben. Es war schon ein wenig unheimlich, in die reglosen Gesichter zu schauen, aber ich hatte trotzdem keine Angst. Ich wusste ja, dass es nur ein Traum war. Dennoch war es seltsam: Der ganze Raum schien in einen tiefen Dornröschenschlaf gefallen zu sein. Auf den Bildern lag fingerdicker Staub, und die Ölfarbe bröckelte bereits an einigen Stellen ab. Ob sich irgendjemand um die Erhaltung der Bilder der Vorvorderen kümmerte? Der Saal sah zumindest so aus, als hätte ihn Jahrhunderte lang kein Mensch mehr betreten.
    Und doch…
    Ein Bild passte nicht in die Galerie. Zum einen, weil es kein Portrait war wie all die übrigen. Zum anderen, weil es moderner war. Ich bezweifelte sogar, dass es überhaupt gemalt war. Es glich eher einem großen Foto als einem Gemälde. Es zeigte ein hübsches, kleines Häuschen mit offenen Fenstern und wehenden Gardinen. Ein blühender und liebevoll gepflegter Rosengarten umgab es. In der Mitte des Gartens stand ein alter, knorriger Baum. Die bestechende Schlichtheit des Bildes wurde durch den schmalen schwarzen Holzrahmen noch unterstrichen. Es gehörte ganz eindeutig nicht in diesen schlossähnlichen Saal. Ich trat näher und berührte den Rahmen. Zu meiner Verwunderung bemerkte ich, dass kaum ein Körnchen Staub darauf lag. Also war doch schon einmal jemand hier gewesen! Jemand musste dieses Bild vor nicht allzu langer Zeit hier aufgehängt haben! Doch wozu?
    Ich trat in einen Erker zu einem der zahlreichen, riesigen Fenster. Sie waren so staubig, dass ich mir mit meinem Ärmel ein kleines Guckloch frei wischen musste, um hinaussehen zu können. Der Staub hinterließ einen hässlich dunklen Fleck auf meinem Pulli. Draußen erstreckte sich eine hügelige, grüne Landschaft bis zum fernen Horizont. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals zuvor an diesem Ort gewesen zu sein. Wie war ich überhaupt hierher gekommen?
    Dann, in einem nicht greifbaren Moment, wurde es schlagartig dunkel. Die Sonne schien nicht mehr. Sie war nicht untergegangen, falls ihr das glaubt! Noch hatten sich Wolken vor sie geschoben! Nein, die Sonne schien einfach nicht mehr. Es war, als wäre die ganze Welt bloß ein Raum, und jemand hätte die einzige Lichtquelle ausgeknipst. Einfach so!
    Stockfinster war es in dem großen Saal. Nicht einmal die Hand vor Augen konnte ich sehen. Kälte kroch durch das alte Gemäuer. Ich zitterte. Auch vor Angst. Denn jetzt war es wirklich unheimlich! Traum hin oder her.
    Plötzlich sah ich ein kleines Licht aufleuchten. Wo kam es her? Es war nur ein winziger Punkt, doch ich tastete meinen Weg zu dem flackernden Schein. In der Dunkelheit brauchte ich eine Weile, um festzustellen, dass ich wieder vor dem seltsamen Bild stand. Ich stutzte: das kleine Licht – es kam aus dem Häuschen! Aus demselben Häuschen, das auf dem Bild zu sehen war! Hinter den Gardinen flackerte eine kleine Kerze. Ich erstarrte. Nein, das konnte doch nicht möglich sein… Und doch, es gab keinen Zweifel: Das Bild lebte! Es war lebendig! Und das, was mich beunruhigte, war nicht nur die flackernde Kerze. Nein, ein Schatten bewegte sich hinter den Vorhängen. Ein langer, grauer Schatten. Er bewegte sich direkt auf das Fenster zu! Ich hielt den Atem an. Langsam schob er die Gardine zurück und…

    ***

    Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass ich wieder in meinem Bett lag. Schweißnass. Was war passiert? Ich richtete mich auf und sah auf die Uhr. Es war sieben Uhr früh. Der Regen hatte aufgehört, und ein heller Streifen am
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