Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transfer

Transfer

Titel: Transfer
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
meine Worte klangen ja beleidigend. Dieses ratlose, klägliche Lächeln brach etwas in mir: bei dem Versuch, krampfhaft die Maske der Gleichgültigkeit, die ich annahm, weil ich nichts anderes mehr tun konnte, loszuwerden, sprang ich auf ihn zu, als er sich schon umgedreht hatte, um zu gehen. Ich faßte seine Hand und zerquetschte sie beinahe. Dieser heftige Druck war meine Entschuldigung. Olaf, ohne sich umzuwenden, antwortete mit dem gleichen Druck und ging. Ich spürte noch seinen harten Griff in meiner Hand, als er schon die Tür hinter sich so leise schloß, als verließe er ein Krankenzimmer. Ich blieb allein, wie ich es gewollt hatte.
    Das Haus lag in völliger Stille. Ich hörte nicht einmal Olafs sich entfernende Schritte; in der Fensterscheibe zeichnete sich schwach meine eigene, schwere Gestalt ab, aus einer unbekannten Quelle floß warme Luft herbei, und über die Konturen meines Abbilds sah ich die dunkle Grenze der Bäume, die in der Finsternis verschwand- noch einmal umfaßte ich das ganze Zimmer mit dem Blick und setzte mich dann in den großen Sessel am Fenster. Die Herbstnacht war eben erst gekommen. An Schlafen konnte ich nicht einmal denken. Ich stand wieder auf. Die hinter dem Fenster herrschende Dunkelheit mußte voller Kühle und dem Rauschen der blätterlosen, sich reibenden Zweige sein - urplötzlich wollte ich dorthin, in der Dunkelheit herumirren, in ihrem durch niemand vorgeplanten Chaos. Schnell verließ ich das Zimmer.
    Der Gang war leer. Zur Treppe ging ich auf den Zehenspitzen, was wohl eine übertriebene Vorsicht war. Olaf war sicher schon zur Ruhe gegangen, und Thurber, falls er noch arbeitete, saß in einem anderen Stockwerk, in einem entfernten Flügel dieses Gebäudes. Ich lief hinunter, schon ohne auf meine lauten Schritte zu achten, dann hinaus und ging schnell vorwärts.
    Ich wählte keine Richtung, ging nur so, daß die Stadtlichter nach Möglichkeit abseits blieben. Die Parkalleen brachten mich bald an seine Grenzen, die von einer Hecke eingefaßt waren. Ich fand mich auf der Straße, die ich noch eine Zeitlang weiterging, bis ich plötzlich stehenblieb. Ich wollte diese Straße verlassen, denn sie führte zu irgendeiner Siedlung, zu Menschen, und ich wollte allein sein.
    Ich erinnerte mich an das, was mir Olaf noch in Klavestra über Malleolan, jene neue Stadt, nach unserem Abflug in den Bergen errichtet, erzählt hatte; einige Kilometer der Straße, die ich gegangen war, bestanden tatsächlich fast nur aus Serpentinen und Kurven, die wahrscheinlich die Hügelhänge mieden, aber bei der herrschenden Dunkelheit konnte ich mich auf die eigenen Augen nicht verlassen. Die Straße war - wie alle - nicht beleuchtet, da ihre Fahrbahn selbst zu matt phosphoreszierte, um die einige Schritte von ihr wachsenden Sträucher erkennen zu lassen. Ich wich also von ihr ab, blindlings gelangte ich in das Dickicht eines kleinen Wäldchens, das mich steil auf eine größere, baumlose Anhöhe führte - ich merkte es, weil der Wind hier ohne Hindernisse tobte. Einige Male sah ich aus der Ferne die blasse Schlange der verlassenen Straße tief unten, und dann schwand auch dieses letzte Licht; ich blieb zum zweiten Male stehen, versuchte - nicht so sehr mit meinen machtlosen Augen, wie mit dem ganzen Körper und dem Gesicht, das ich dem Wind zukehrte -, mich in dieser unbekannten Umgebung zurechtzufinden. Wie auf einem frem-den Planeten. Ich wollte über den kürzesten Weg auf einen der Gipfel gelangen, die das Tal umstanden, wo die Stadt lag - in welcher Richtung aber? Plötzlich, als mir das Ganze hoffnungslos schien, hörte ich von rechts oben ein langanhaltendes, fernes Rauschen. Es erinnerte vage an die Stimme der Wellen… nein, es war das Rauschen des Waldes, des Windes, der hoch über dem Platz wehte, an dem ich nun stand. Das war meine Richtung.
    Der Hang, mit altem, trockenem Gras bewachsen, führte mich zu den ersten Bäumen. Mit ausgestreckten Armen umging ich sie, mein Gesicht vor den dornigen Zweigen schützend. Bald war die Anhöhe nicht mehr so steil, die Bäume schwanden, wieder mußte ich meine Marschrichtung wählen. Ich horchte in die Dunkelheit, wartete geduldig auf einen weiteren, stärkeren Windstoß.
    Da ließ sich eine Stimme aus dem Raum hören: von den fernen Höhen kam ein langes, pfeifendes Heulen. Ja, der Wind war mein Verbündeter in dieser Nacht; ich ging querfeldein, ohne zunächst darauf zu achten, daß ich an Höhe verlor, ziemlich steil wieder in die Tiefe einer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher