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Transfer

Transfer

Titel: Transfer
Autoren: Stanislaw Lem
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schwarzen Schlucht gelangte. Rhythmisch fing ich dann wieder an, aufzusteigen, wobei mir ein plätscherndes Bächlein den Weg wies. Ich sah es nicht ein einziges Mal, es lief vielleicht unter einer Felsenschicht, und diese Stimme des fließenden Wassers wurde auch leiser, je höher ich stieg, endlich verstummte sie ganz, und nochmals umzingelte mich der Wald mit hohen Stämmen. Der Waldboden war fast ohne Moos und Gras, nur mit einer kissenweichen Schicht alter Nadeln bedeckt.
    Diese Wanderung in der vollständigen Dunkelheit dauerte wohl drei Stunden: die Wurzeln, über die ich stolperte, wuchsen immer öfter um große, aus der seichten Bodenschicht ragende Felsbrok-ken. Ich begann zu fürchten, daß der Gipfel mit Wald bewachsen sein würde und in seinem Labyrinth die kaum angefangene Bergwanderung ein Ende finden müßte. Aber ich hatte Glück - durch einen kahlen kleinen Paß kam ich auf ein mit Steinen übersätes Feld. Immer spitzer wurden diese Steine, endlich konnte ich kaum noch stehen, da sie unter meinen Füßen geräuschvoll zu rollen anfingen. Von einem Bein aufs andere springend, oft auch hinfallend, gelangte ich auf die Nebenschwelle einer immer enger werdenden Felsrinne und dann schon schneller nach oben.
    Von Zeit zu Zeit blieb ich stehen und versuchte herumzuschauen - aber die herrschende Dunkelheit ließ das überhaupt nicht zu. Ich sah weder die Stadt noch ihre Lichter, auch von der
    leuchtenden Straße, die ich gekommen war, keine Spur mehr -die Felsrinne führte mich auf eine kahle Stelle, die nur mit dürrem Gras bewachsen war; der sich stets vergrößernde Sternenhimmel verriet mir, daß ich jetzt ziemlich hoch war. Andere, ihn verdek-kende Berggipfel fingen wohl an, sich dem anzugleichen, den ich erklommen hatte. Einige hundert Schritte weiter kam ich zwischen die ersten Gruppen der Zwergkiefern.
    Hätte mich irgend jemand in dieser Dunkelheit angehalten und gefragt, wohin ich gehe, so wäre ich keiner Antwort fähig gewesen. Zum Glück war keiner da. Dunkelheit und Einsamkeit dieses Nachtmarsches wirkten erleichternd, wenn mir das auch nur halb bewußt wurde.
    Der Hang schien immer steiler, zu klettern wurde es immer schwerer, aber ich achtete nur darauf, nicht vom Weg abzukommen, als hätte ich wirklich ein gestecktes Ziel vor mir. Mein Herz schlug stark, meine Lungen keuchten, und ich gelangte hoch und höher, wie benommen. Instinktiv spürte ich, daß eben eine solche Anstrengung für mich notwendig war. Ich riß die verworrenen Zweige der Zwergkiefern auseinander, blieb manchmal in ihrem Dickicht stecken, befreite mich mit Gewalt und ging weiter. Die Nadeln zerkratzten mein Gesicht, meine Brust, hakten sich in meine Kleider ein, meine Finger waren schon ganz verklebt von Harz. Auf einer freien Stelle traf mich unerwartet der Wind, griff mich in der Dunkelheit an, tobte ungehindert und pfiff irgendwo, hoch oben, wo ich mir einen Bergpaß vorstellen konnte. Inzwischen wurde ich von weiteren, dicken Zwergtannengruppen verschlungen. Wie Inseln ruhten darin unsichtbare Schichten einer gewärmten, reglosen Luft, stark mit ihrem Duft gesättigt. Auf meinem Weg wuchsen unsichtbare Hindernisse auf - Felsbrok-ken, Felder kleiner, unter den Füßen wegrollender Steine.
    Ich mußte so wohl schon ein paar gute Stunden gegangen sein, spürte in mir aber immer noch genug Kräfte. Dabei war ich am Verzweifeln: die Felsrinne, die zu dem unbekannten Bergpaß oder vielleicht auch zum Gipfel führte, wurde jetzt so schmal, daß ich auf dem Hintergrund des Himmels zugleich ihre beiden Seiten sah - hochgereckt, löschte sie mit ihren dunklen Rändern die Sterne.
    Längst hatte ich die Sphäre der Nebel unter mir gelassen, aber diese kühle Nacht war mondlos, die Sterne gaben nur wenig Licht. Um so mehr erstaunte ich, als über mir und um mich lange, weißliche Gestalten erschienen. Sie ruhten in der Dunkelheit, ohne sie zu erhellen, als ob sie nur das Tageslicht eingesogen hatten- erst das erste rauhe Knirschen unter den Sohlen machte mir klar, daß ich auf Schnee trat.
    Er bedeckte mit einer dünnen Schicht fast den ganzen Rest des steilen Hangs. Ich war nur leicht bekleidet und wäre wohl bis auf die Knochen erfroren, aber unerwarteterweise legte sich der Wind. Um so deutlicher erklang in der Luft das Echo meiner Schritte - bei jedem durchbrach ich die Schale des alten Schnees und sank bis zur halben Wade ein.
    Auf dem Bergpaß selbst war schon fast kein Schnee mehr. Ganz leergefegt standen über dem
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