Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Transfer

Transfer

Titel: Transfer
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
hergekommen? Plötzlich, mit Staunen, erinnerte ich mich daran. Man sollte hineingehen und nach Olaf fragen.
    Aber nicht jetzt. Nicht in diesem Moment. Ich ging auf die Treppe zu. Ihr gegenüber befand sich die letzte Tür in dieser Reihe, eben die, in der vor kurzem der unbekannte Mann verschwunden war. Ich konnte mich erinnern, daß ich gleich am Anfang, als ich in dieses Gebäude kam und Thurber suchte, in dieses Zimmer hineinsah: ich erkannte den schrägen Lackkratzer wie -der. In diesem Zimmer war nichts. Was also suchte der Mensch, der da hineinging?
    Ich war ganz sicher, daß er da nichts zu suchen hatte, sich aber vor mir verbergen wollte. Ich stand eine lange Zeit, unschlüssig, gegenüber der leeren, mit einem weißen, unbeweglichen Licht beleuchteten Treppe. Langsam, Zoll für Zoll, drehte ich mich um. Ich wurde vom einer eigenartigen Unruhe befallen, es war aber eigentlich keine Unruhe - ich fühlte mich ganz wie nach der In-
    jektion eines Betäubungsmittels; gespannt, obwohl ruhig, machte ich noch zwei Schritte, schloß halb die Augen - und dann schien ich - von der anderen Türseite - jemanden atmen zu hören. Es war nicht möglich. >Nun gehe ich<, nahm ich mir vor, aber auch das war ebenfalls schon unmöglich: zuviel Aufmerksamkeit hatte ich dieser Tür gewidmet, um so ganz einfach fortzugehen. Ich schritt auf sie zu und sah hinein.
    Unter einen kle inen Deckenlampe stand in der Mitte des leeren Zimmers Olaf. Er hatte seinen alten Anzug mit hochgekrempelten Ärmeln an, als hätte er erst vor kurzem die Werkzeuge hingeworfen.
    Wir sahen uns an. Als er merkte, daß ich nicht die Absicht hatte, als erster zu sprechen, tat er es endlich selbst.
    »Wie geht es dir, Hal…?« Seine Stimme klang nicht ganz sicher. Ich wollte ihm nichts vormachen, war ganz einfach von den Umständen dieses unerwarteten Zusammentreffens überrascht. Vielleicht war auch die betäubende Einwirkung von Thurbers Worten noch nicht vergangen. Jedenfalls gab ich keine Antwort. Ich ging zum Fenster, von dem aus die gleiche Sicht auf den schwarzen Park und den Lichtschein der Stadt möglich war, drehte mich dann um und setzte mich halb auf die Fensterbank.
    Olaf rührte sich nicht. Er stand noch immer in der Mitte des Zimmers, aus dem Buch, das er in der Hand hielt, schob sich ein Stück Papier heraus und segelte auf den Boden herab. Wir bückten uns beide gleichzeitig danach, und ich sah die Entwurfszeichnung des gleichen Geschosses, das mir vor kurzem Thurber zeigte. Darunter standen Anmerkungen in Olafs Handschrift. >Wahrscheinlich ging es darum<, dachte ich. Er sprach nicht, weil er selber fliegen würde und mir diese Nachricht ersparen wollte. Ich muß ihm sagen, daß er sich irrt, weil mir an dieser Expedition überhaupt nichts liegt. Von den Sternen habe ich genug, und außerdem habe ich schon alles von Thurber erfahren, also kann er mit reinem Gewissen mit mir reden.
    Mit der Zeichnung in der Hand sah ich aufmerksam ihre Linien an, als ob ich die Geschwindigkeit der Rakete erkennen wollte, sagte aber kein Wort, gab ihm nur das Papier zurück, das er mit einem gewissen Zögern entgegennahm, faltete und ins Buch steckte. All das geschah schweigend. Ich bin sicher, daß es nicht beabsichtigt war, aber diese Szene - vielleicht gerade weil sie sich schweigend abspielte - gewann eine symbolische Bedeutung. Ich
    mußte seine geplante Anteilnahme an der Expedition ohne Enthusiasmus, aber auch ohne Leid akzeptieren.
    Als ich seine Augen suchte, sah er weg- um mich gleich darauf scheel anzuschauen - war es Unsicherheit oder Verwirrung? Sogar jetzt, als ich schon alles wußte? Die Stille in dem kleinen Raum wurde unerträglich. Ich hörte sein etwas beschleunigtes Atmen. Er hatte ein müdes Gesicht» und seine Augen waren nicht so lebhaft wie damals, als ich ihn zum letzten Mal sah. Als hätte er viel gearbeitet und nur wenig geschlafen, aber es stand darin auch ein anderer Ausdruck, den ich nicht kannte.
    »Mir geht’s gut«, sagte ich, »und dir?«
    Sobald diese Worte fielen, merkte ich, daß es für sie schon zu spät war; richtig hätten sie gleich nach meinem Hereinkommen geklungen, jetzt aber klangen sie wie ein Vorwurf oder gar wie Spott.
    »Warst du bei Thurber?« fragte er.
    »Ja.«
    »Die Studenten sind weggefahren.., jetzt ist keiner mehr da, man hat uns das ganze Gebäude gegeben…«, fing er wie unter einem Zwang zu sprechen an.
    »Damit ihr den Expeditionsplan ausarbeiten könnt?« fragte ich, worauf er prompt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher