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Transfer

Transfer

Titel: Transfer
Autoren: Stanislaw Lem
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Witze. Ich hatte von seinem jovialen Gehabe genug. Jeder Passant - bildete ich mir ein -, der darüber befragt werden würde, hätte mich oder Olaf als seinesgleichen angesehen - nicht wir selbst waren ihm unheimlich, sondern unser vergangenes Schicksal: das war das Ungewöhnliche. Doktor Abs aber, wie jeder ADAPT-Mitarbei-■ ter, wußte es besser - er wußte, daß wir tatsächlich anders sind. Dieses Anderssein war keine Auszeichnung, sondern ein Hindernis bei der Verständigung, beim einfachsten Wortwechsel» ach
    was - beim Offnen einer Tür, da doch die Türklinken vor - ich weiß nicht mehr genau- fünfzig oder sechzig Jahren zu existieren aufgehört haben.
    Der Start erfolgte unerwartet. Die Schwere änderte sich um keinen Deut, in das hermetisch abgeschlossene Innere drangen keinerlei Töne, über die Decke liefen rhythmisch die Schatten -vielleicht infolge der mehrjährigen Routine meines alten Instinkts wußte ich in einem gewissen Augenblick, daß wir im Raum schwebten; denn das war eine Gewißheit, keine Vermutung.
    Noch etwas interessierte mich aber. Ich ruhte, halbliegend, die Beine ausgestreckt, reglos. Allzu leicht ließen sie mir das durchgehen. Sogar Oswamm hatte sich nicht besonders dagegen gesträubt. Die Gegenargumente, die ich von ihm und von Abs zu hören bekam, konnten nicht überzeugen - ich selbst würde da schon bessere finden. Sie beharrten nur darauf, daß jeder von uns einzeln fliegen müßte. Und nicht einmal die Tatsache, daß ich Olaf rebellisch stimmte - denn sonst wäre er wohl einverstanden gewesen, noch länger dort zu bleiben-, nahmen sie mir übel. Das gab mir zu denken. Ich erwartete Komplikationen, irgend etwas, was im letzten Moment meinen Plan zunichte machen würde.
    Aber nichts dergleichen geschah, und nun flog ich. Diese letzte Reise sollte in einer Viertelstunde zu Ende gehen.
    Augenscheinlich hatte das, was ich mir ausgedacht hatte, wie auch die Haltung, die ich einnahm, um eine frühere Abfahrt zu erzwingen, sie kaum überrumpelt. Sie hatten wohl diesen Typ der Reaktion katalogisiert, es war eine Verhaltensstereotype, die solchen Draufgängern wie mir eigen war und die sie auf ihren psychotechnischen Tafeln mit einer entsprechenden Ordnungszahl versahen. Sie erlaubten mir zu fliegen- warum? Weil die Erfahrung ihnen sagte, daß ich damit nicht fertig werden würde?
    Wie konnte es aber dazu kommen, wenn diese ganz >>selbstän-dige« Eskapade nur aus dem Flug von einem Bahnhof zum anderen bestand, wo bereits jemand vom irdischen ADAPT warten sollte, und alles, was ich zu tun hatte, darauf hinauslief, jenen Menschen an der verabredeten Stelle zu finden?
    Da geschah etwas. Ich hörte erhobene Stimmen. Ich lehnte mich hinaus aus meinem Sessel. Ein paar Reihen vor mir schubste eine Frau die Stewardeß weg, die mit einer verlangsamten, automatischen Bewegung, wie unter Einfluß dieser - gar nicht so starken
    - Abwehrbewegung zwischen den Sesseln rückwärts ging. Die
    Frau wiederholte: »Nein, das laß ich nicht zu! Dies soll mich nicht berühren!« Das Gesicht der Schreienden konnte ich nicht sehen.
    Ihr Reisegefährte faßte sie an der Schulter, redete beruhigend auf sie ein. Was bedeutete diese Szene? Die anderen Passagiere beachteten sie nicht. Wieder einmal überkam mich das Gefühl unwahrscheinlicher Fremdheit. Von unten sah ich die Stewardeß an, die bei mir stehengeblieben war und mich - wie schon vorher -anlächelte. Es war kein rein äußerliches Lächeln der pflichtschuldigen Höflichkeit, das die Aufregung über den Vorfall maskierte. Sie gab nicht vor, ruhig zu sein, sie war es wirklich.
    »Möchten Sie etwas trinken? Prum, Extran, Morr, Cidre?«
    Eine melodische Stimme. Ich schüttelte verneinend den Kopf.
    Ich wollte ihr gerne etwas Nettes sagen, brachte es aber nur zu der abgedroschenen Frage: »Wann landen wir?«
    »In sechs Minuten. Möchten Sie etwas essen? Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Man kann hier auch nach der Landung bleiben.« »Danke, nein.«
    Sie ging. In der Luft, dicht vor meinem Gesicht, auf dem Hintergrund der nächsten Sessellehne, leuchtete- wie mit dem Ende einer glühenden Zigarette geschrieben - die Aufschrift STRATO auf. Ich beugte mich vor, um zu sehen, wie diese Inschrift entstanden war, und zuckte zusammen. Die Sessellehne hinter meinem Rücken paßte sich an und umfaßte mich elastisch. Ich wußte bereits, daß die Möbel jeder veränderten Haltung entgegenkommen, nur vergaß ich es immer wieder. Es war nicht angenehm -ungefähr
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