Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman
Autoren: Tamara McKinley
Vom Netzwerk:
hingen an der Brust ihrer Mütter, und ein paar kleine Kinder spielten mit einer gefangenen Eidechse. Unwillkürlich musste er lächeln. Seine Mutter, Garnday, erteilte wie gewohnt Befehle, ungeachtet der Tatsache, dass sie nur eine zweite Frau war und daher eigentlich kein Recht dazu besaß.
    Er schaute zur ersten Frau seines Vaters hinüber, der Mutter von Malangi. Sie war alt, gebrechlich und runzlig. Bald würde ihre Zeit kommen, da sie den Gesang des Geistvolkes vernehmen und ihm zu den Sternen folgen würde. Ob Garnday das spürte und ihre Autorität erprobte? Sie sollte vorsichtiger damit umgehen, dachte er, denn die ältere Frau genoss Hochachtung und übte noch immer großen Einfluss auf den gemeinsamen Mann aus.
    Garnday dachte verzweifelt darüber nach, was sie mit Djanay machen sollte. Wie dumm von ihm, einen Blick auf Djuwe zu werfen! Über kurz oder lang würde Blut fließen, denn Malangi war ein eifersüchtiger Ehemann.
    Djanay war jetzt ein Mann, von dem erwartet wurde, dass er dem heiligen mardayin treu blieb. Sie war so stolz auf ihn gewesen und hatte hohe Erwartungen an ihren Lieblingssohn. Seine bevorstehende Heirat mit Aladjingu würde ihn näher an den Kreis der Ältesten heranführen. Eines Tages, wenn alles gut ging, hoffte sie, ihn als Anführer ihres Stammes zu sehen. Malangi war bereits fünfunddreißig und wäre längst tot, wenn Djanay in das Alter käme, die Führung zu übernehmen. Nun zerbrachen ihre ehrgeizigen Hoffnungen – das war Djuwes Schuld. Sie war ein Eindringling und verursachte nur Ärger.
    Ihre Augen wurden schmal, als sie das Mädchen beobachtete. Djuwe war Malangi in früher Kindheit versprochen worden. Sie war die Tochter eines Ältesten der Iwadja, und der große Altersunterschied war nicht ungewöhnlich. Das Bündnis zwischen den beiden Stämmen war wichtig, denn sie hatten gemeinsame Jagdgründe und standen sich zur Seite, wenn eindringende Stämme angriffen.
    Garnday bemerkte plötzlich, dass die alte Frau sie beobachtete. Schaudernd überkam sie die Vorahnung, dass ihr Sohn in großer Gefahr schwebte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Djanay das Mädchen mit in den Busch nehmen würde, und die alte Frau würde nicht zögern, ihn zu bestrafen. Denn trotz ihres hohen Alters hatte auch sie Ambitionen und sähe Malangi gern als Stammesführer.
    Die beiden Frauen funkelten sich an. Sie hatten nicht viel füreinander übrig. Garnday wusste, dass die Ältere ihr die Jugend und die Fähigkeit neidete, ihrem Mann viele Söhne zu schenken. Doch als Jüngere musste Garnday ihr Respekt erweisen – musste von der Alten die Geheimnisse des Überlebens lernen, sich ihren Wünschen fügen und sich um sie kümmern, wenn diese alt war. Sie straffte die Schultern, warf trotzig ihr dichtes schwarzes Haar in den Nacken und eilte zurück ans Lagerfeuer.
    Djuwe war seit zehn Monden bei ihnen, und noch immer machten sich keine Anzeichen einer Schwangerschaft bemerkbar. Garnday beäugte sie mit Abscheu. Sie hatte Djuwe in Verdacht, dass sie die besondere Mischung aus Blättern und Beeren aß, die neues Leben im Keim erstickte.
    Alle Frauen machten das, denn es war unmöglich, mehr als ein Kind zu stillen und sich zugleich im Clan nützlich zu machen. Gebar eine Frau Zwillinge, wurde der eine sofort erschlagen, denn in den trockenen Jahreszeiten mussten sie auf der Suche nach Wasser oft lange Wanderungen über verdorrtes Land unternehmen, und nur der Stärkere konnte überleben.
    »Sie hat keinen Grund, kinderlos zu bleiben«, murmelte sie vor sich hin. »Es sei denn, sie ist unfruchtbar – und das bezweifle ich.« Sie sah, wie das Mädchen Djanay einen koketten Blick zuwarf. »Nein, sie hat andere Pläne«, sagte sie kaum hörbar.
    Das Ritual der Abendmahlzeit lenkte ihre Gedanken wieder auf die Gegenwart und die Verteilung des Essens. Zuerst wurden den Männern und initiierten Jungen die besten Stücke aufgetragen. Die jungen Frauen fütterten ihre Kinder, aßen dann selbst und überließen es den Älteren, in der Asche nach Resten zu suchen. Dieser Brauch entsprang nicht etwa einem Mangel an Respekt; die Älteren würden in absehbarer Zeit in das Land der Geister gerufen, die Nahrung wäre an sie verschwendet. Da war es besser, die Jäger und Sammler zu nähren und der folgenden Generation Kraft zu verleihen.
    Während Garnday das heiße Fleisch aß, beobachtete sie Djuwe verstohlen. Das Mädchen lachte und schwätzte mit den anderen jungen Frauen, seine Lippen glitzerten vom Fett
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher