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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten
Autoren: Lidewij van Wilgen
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könnte.
    Als ich langsam wieder davongehen will, hält er mich zurück. »Warten Sie kurz!«, sagt er. In seiner etwas holprigen Art geht er in seinen Gemüsegarten und kommt kurz darauf mit zwei großen Salatköpfen zurück, die er mir feierlich überreicht: »Für Sie!«
    Simone und Henk sind wieder für einige Tage in Südfrankreich. Ich habe am Abend zuvor bei ihnen gegessen, und jetzt stehen wir zusammen auf dem Platz mit den Platanen im alten Zentrum von Maraussan. Vor der Natursteinfassade des Gemeindehauses ist eine große Bühne aufgebaut worden, auf der ein paar Jungs eine Cover-Version von The Clash spielen. Der künstliche Nebel auf der Bühne fließt ins Publikum, das vor der Bühne tanzt – ein gepflegter Mann im Leinenjackett bewegt seinen Kopf im Rhythmus der Musik, ein stolzes Lächeln spielt um seine Lippen. Der Junge auf der Bühne mit dem schwarz gefärbten Haar, der sein Lächeln erwidert, muss sein Sohn sein. Dann erklimmt eine Gruppe erwachsener Männer die Bühne, eine Band aus der Kategorie Hochzeiten und Partys. Routiniert spielen sie ein paar gecoverte Stücke.
    Langsam werde ich nervös, drängele mich durch das Publikum hindurch zu einem Platz ganz vorne, wo ein paar Jungs und Mädels auf einer kleinen Mauer sitzen. »Fiene und Marijn sind jetzt dran!« – Laartje kommt schreiend auf mich zugerannt, und ich sehe, wie Marijn sich starr vor Aufregung eine schwarze Gitarre umhängt. Dann klettert sie auf die Bühne, um zusammen mit dem alten Rocker, der sich um die Tontechnik kümmert, den Verstärker einzustellen. »Ich habe totale Angst«, sagt Fiene leise. »Bist du verrückt, die Nummer kannst du richtig gut«, sage ich noch viel aufgeregter als sie.
    Dann leuchten die Scheinwerfer auf, und von zwei Seiten strömt Nebel auf die Bühne. Fiene sitzt hinter einem riesigen Schlagzeug, umringt von Marijn und drei Jungen aus ihrer Klasse, und rockt. Ich werde beinahe verrückt vor Stolz.
    Zwei Nummern – alles super gelaufen. Ich hyperventiliere noch immer, während ich zur Bar auf dem Platz strauchele, um mir ein richtig großes Glas Wein zu gönnen. Eine Frau neben mir dreht sich lachend zu mir um: »Ich bin eine Lehrerin Ihrer Töchter«, sagt sie, »was für nette Kinder, ich bin froh, sie in der Klasse zu haben, immer gute Noten, keine Frage, aber sie sind auch so nett, so interessiert.« Dann denkt sie kurz nach: »Sie haben mir erzählt, dass sie auf einem Weingut leben. Vielleicht ist es das, die Tatsache, dass sie auf dem Land aufgewachsen sind, womöglich sind sie deshalb ausgeglichener, glücklicher als viele Kinder aus der Stadt.« Überrascht schaue ich sie an. Wenn das stimmen würde, dann war es die richtige Entscheidung, hierzubleiben.
    Langsam ordnen sich die Dinge. Bei meinen Abenteuern mit dem Journalisten habe ich in Bordeaux gelernt, meine Weine weiter zu verfeinern. Ich habe neue, große Fässer aus einer französischen Eiche gekauft, die von ihrer Qualität her zu einem Grand Cru passen würde. Viel zu teuer, aber der Effekt ist bereits zu spüren: Plötzlich stehen die Weine auf der Karte eines Drei-Sterne-Restaurants in London. Über einen Schweden, der in Saint-Emilion neben mir saß, habe ich jetzt auch auf dem schwedischen Markt einen Kunden gefunden. Die extreme Haltung aus meiner Zeit mit Pierre habe ich aufgegeben. Warum sollte ich nur eine gute Winzerin sein können, wenn ich den ganzen Tag Weinstöcke schneide? Natürlich bin ich für die Herstellung verantwortlich, aber ist es nicht viel wichtiger, dass ich mich mit meinen Kunden beschäftige, Weinproben veranstalte?
    Ich frage mich, ob ich mich nur in Pierre verliebt habe, weil er der Gegenpol zu Aad war. Der Anti-Materialist auf der einen Seite und der Mann mit Statusbewusstsein auf der anderen? Raue Natur gegen geleckte Werbung? Alter Peugeot gegen Porsche? Ich frage mich, ob ich das Leben wirklich durch dieses Schwarz-Weiß-Raster betrachte. Wahrscheinlich ist es so.
    Jetzt stehe ich mit Marijn auf dem Stück Land hinter dem Weinkeller. Sie ist groß geworden, ich betrachte ihr nachlässig hochgestecktes blondes Haar, ihre alte Jeans, das weiße T-Shirt mit dem Streifen roter Erde darauf. Nach dem »Pic« ist sie auf das »Lycée La Trinité« gewechselt. Es ist die angesehenste Schule der Stadt. Dort gehen die Kinder hin,
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