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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten
Autoren: Lidewij van Wilgen
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Rande des Bildes, folgt ihr mit dem Finger bis zu der Blutung. »Wenn ich an der richtigen Stelle bin, dichte ich das Loch mit kleinen Metallspiralen ab. Ihr Körper bildet dort dann Narbengewebe. Man hat sofort ein Ergebnis, und es treten sehr selten Komplikationen auf.«
    Ich nicke, es scheint einfach zu sein, und ich bin froh, dass er mich nicht aufschneiden muss.
    Â»Sie haben einen Akzent«, bemerkt er, als wir uns wieder hinsetzen, »wo kommen Sie her?« Ich erzähle ihm, dass ich Niederländerin bin, er stellt mir weitere Fragen. Jetzt befinde ich mich auf vertrautem Gebiet und fühle, wie ich mich entspanne. Ich erzähle von meinem Leben, dem Weingut – eine Geschichte, die ich schon so oft zum Besten gegeben habe, dass ich genau weiß, wo ich einen Witz machen, wo ich etwas relativieren muss. Dennoch ist es dieses Mal anders – er stellt mir Fragen, über die ich nachdenken muss. Plötzlich ist es keine Anekdote mehr, sondern etwas Wichtiges, das richtig wiedergegeben werden will. Ich sehe den sanften Glanz in seinen dunklen Augen.
    Als ich zu Ende erzählt habe, richtet er sich auf, und plötzlich sehe ich den Mann in ihm: einen ziemlichen Charmeur. Er plaudert über den Verkehr in Montpellier, über das Motorrad, das er sich gekauft hat, um zwischen den verschiedenen Kliniken hin- und herzufahren. Dann räuspert er sich, nimmt seinen Kalender und plant die Operation für den nächsten Tag ein.
    Â»Wissen Sie, dass sie ein Weingut hat?«, fragt der Anästhesist den Arzt aus dem gelben Zimmer. Ich liege in einem Nacht hemd aus blauem Papier, das nur von ein paar Bändern zusam mengehalten wird, auf dem Operationstisch. »Das weiß ich schon lange!«, sagt der Arzt. »Aber ich habe mir ihre Website angeschaut«, sagt der Anästhesist.
    Â»Na und, mir hat sie es persönlich erzählt.« Dann bemerken sie, dass ihr Gesprächsthema noch zuhört. Ich bekomme ein Narkosemittel und schlafe ein.
    Als ich in meinem Krankenzimmer wieder wach werde, wird es draußen schon dunkel. Ich schalte eine Lampe ein und sinke in die Kissen. Beinahe gleichzeitig wird an die Tür geklopft – es ist der Arzt, der mich operiert hat. »Der Eingriff ist hervorragend verlaufen«, sagt er, während er ein paar Aufnahmen aus einem großen weißen Umschlag holt. Er erklärt mir, was er gemacht hat – es sieht gut aus.
    Dann steht er auf, aber noch bevor er an der Tür ist, dreht er sich zu mir um. Er wirkt ein wenig verwirrt, sucht kurz nach Worten und sagt dann: »Hm, ich möchte Ihnen gerne sagen, dass … es für mich etwas Besonderes ist, jemanden wie Sie zu treffen. Unser Gespräch hat mich berührt, ich … ich finde, Sie sind eine ungewöhnliche Frau.«
    Ich schaue ihn an, seine dunklen Augen, sein blaues OP -Hemd, unter dem ich die Konturen seines Körpers erahne, sein vorsichtiges Lächeln. Alles an ihm zieht mich an, mit einer Intensität, die mir Angst macht. Er wartet noch immer unsicher auf meine Reaktion. Ich denke nach, fühle alles Mögliche gleichzeitig, sage dann das Einzige, was mir einfällt: »Merci.«

23
    Ich folge dem schmalen Weg, der an den Weinfeldern entlangführt und an der linken Seite von hochgewachsenem Bambus gesäumt wird. Auf halbem Weg sehe ich Monsieur Lampilas ein wenig vornübergebeugt vor seinem Gemüsegarten stehen, er wirkt klein und rundlich in seiner verwaschenen beigen Hose und einem Hemd, das irgendwann einmal kariert gewesen sein muss.
    Die hohe Felswand hinter ihm liegt noch im Schatten, aber das Gras auf dem Feld davor glänzt bereits in der Sonne. Er dreht sich zu mir um, ein breites Lachen auf einem runden Gesicht mit hellen Augen. Hinter ihm erkenne ich seine schon hoch aufgeschossenen Tomatenpflanzen an den spitz zulaufenden Gestellen aus Bambus, dem gleichen Bambus, der auf der anderen Seite am Fluss wächst. Ich betrachte die sauber geharkten Beete mit dem Salat, kleine grüne Pflänzchen, und im Hintergrund sein selbst gebautes Haus. Die Reihe Pappeln, die er vor fünf Jahren als kahle Stämme gepflanzt hat, sind zu hohen Bäumen herangewachsen, an denen die Blätter zufrieden im Morgenwind rascheln. Ich schaue ihn an, den kleinen Mann, der sich so selbstverständlich und zeitlos in dieses Land einfügt, das ihn umgibt. Ich fühle, dass ich hier an etwas Wesentliches rühre, an etwas, das die Wahrheit sein
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