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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten
Autoren: Lidewij van Wilgen
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an seinem Stand befestigt hat, steht das, was wohl mein Tisch sein soll. Ich seufze, und es läuft alles wie immer: Broschüren auslegen, Fotos aufhängen, Weine vorschmecken, dann bin ich so weit, schaue mich um, sehe aber niemanden über die grauen Gänge laufen.
    Ich unterhalte mich mit meinem Nachbarn, einem gepflegten 50-Jährigen, der über nichts anderes als die Krise im Weingeschäft redet, darüber, dass wir sowieso alle untergehen werden. Ich lasse meinen Stand im Stich und gehe durch den grauen Nieselregen hinüber zu der anderen Halle, wo alles großzügiger und heller ist. Nach kurzem Suchen finde ich sie schließlich: Véronique, eine kräftige Frau, die La Dournie leitet, das große Weingut ihrer Familie bei Saint Chinian. Ich kenne sie schon seit Jahren vom Sehen, aber erst seit Kurzem sind wir Freundinnen, seit Véronique mich vor ein paar Monaten zu einer Versammlung der Vinifilles , einer Vereinigung von Winzerinnen, mitgenommen hatte. Es kommt mir so vor, als würden immer mehr nette Frauen in mein Leben treten, je älter ich werde.
    Â»Ich möchte euch ein neues Mitglied vorstellen – das ist Lidewij«, hatte sie gesagt, während sie mich am Arm mit nach drinnen gezogen hatte. Eine Frau mit blonden Haaren und einem schönen, offenen Gesicht hatte mir zugelächelt. Ich kannte sie bereits, wusste, dass sie Isabelle heißt – scheu erwiderte ich ihr Lächeln.
    Â»Aber wir wollten doch niemanden mehr aufnehmen«, sagte eine Frau mit kurzen braunen Haaren und wandte sich dann an die anderen Frauen, die um sie herumstanden – nach einem kurzen, geflüsterten Gespräch hatten sie mich gebeten, draußen zu warten. Mit einem unbehaglichen Gefühl lief ich auf dem leeren Gang auf und ab – fühlte mich ziemlich lächerlich.
    Â»Ich wusste, dass es funktionieren würde«, hatte Véronique gesagt, als wir auf dem Weg zurück im Auto saßen. »Ich wusste, dass sie nicht nein sagen würden, wenn sie dich erst einmal gesehen haben.«
    Keine Woche später standen wir zusammen auf einer sonnenüberfluteten Terrasse am Rande eines großen Parks in der Nähe von Perpignan, auf dem Weingut einer der Vinifilles . Wir hatten an diesem Vormittag eine Versammlung abgehalten, anschließend gab es ein ausgedehntes Mittagessen unter den hohen Palmen. Ein warmer Wind ging, wir probierten gegenseitig unsere Weine, sprachen über die Herstellung, aber auch über unsere Leben, unsere Liebe – ich hatte mich sehr glücklich gefühlt.
    Heute hat Véronique allerdings Schatten unter den Augen. »Sie war gut, oder, die Feier gestern?«, sagt sie. Am Abend zuvor hatten wir mit den Vinifilles einen Konzertsaal gemietet. Kathy, die früher Designerin war, hatte den Saal dekoriert, Marie hatte eine Band aufgetan. Wir waren alle in Schwarz gekleidet, mit einer orangeroten Kette als einzigem Farbakzent – die Farbe der Vinifilles . Der Saal füllte sich schon bald mit Importeuren und Journalisten aus der ganzen Welt – natürlich konnten sie hier und da Weine probieren, und wir begrüßten unsere Geschäftspartner. Vor allem haben wir getanzt. Schließlich wurden wir alle 18 auf die Bühne gerufen, das Publikum jubelte, während auf großen Videoleinwänden Filme über uns und unsere Weingüter gezeigt wurden. Es ist ziemlich cool, Winzerin zu sein, dachte ich.
    Und dann stehe ich am nächsten Tag auf der Weinmesse wieder einem erschöpften Mann im grauen Anzug gegenüber, der ohne großes Interesse an einem Glas Wein riecht. »Er ist natürlich gut«, sagt er, »aber viel zu teuer für die großen Supermärkte.« Es ist mir egal. Langsam habe ich genügend Kontakte, um beinahe meinen gesamten Wein zu verkaufen. Und im nächsten Jahr teile ich mir meinen Stand mit den Vinifilles .
    Jeden Morgen holt Jean-François seine Geräte geräuschlos aus dem Schuppen, verschwindet im Weinfeld, wo er konzentriert und in seinem eigenen Rhythmus arbeitet. Es ist fast, als sei er gar nicht da. Ich rufe Nina und gehe ihn suchen. Wir finden ihn im alten Carignan, und er ist schon viel weiter, als ich gedacht hatte. Gut geerdet steht er über einen Weinstock gebeugt, wendet seinen Rücken dem starken Nordwind zu. Zum ersten Mal trägt er eine dunkelblau-gelbe Segeljacke unter der Sicherheitsschürze für seine Akku-Schere – diese Kleidung macht
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