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Totsein ist Talentsache (German Edition)

Totsein ist Talentsache (German Edition)

Titel: Totsein ist Talentsache (German Edition)
Autoren: Alkestis Sabbas
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Mann das Mittel injiziert. Er atmet tief ein, dreht sich um und sieht jedem
einzelnen seiner Kollegen tief in die Augen. Als würde er ihren Segen erbitten.
Bestätigung. Absolution. Zögernd nicken sie nach und nach und senken ihren
Blick. Nur Felix reckt neugierig seinen Kopf, um nicht zu verpassen, wie der
Professor ein Skalpell zur Hand nimmt. Es knapp unter Brustbein des Mannes
ansetzt. Die Augen schließt und zusticht.
     
    Der Soldat stirbt qualvolle Momente später.
Noch ehe die Wissenschaftler diesen Fehlschlag bedauern oder analysieren
können, werden sie von einer Nachricht aus dem Radio abgelenkt: Der Krieg ist
vorüber!

4. April 2012
    Anna wirft einen Blick aus dem Fenster. Der Wind hat
sich gelegt. Blinkend geht rundum die Straßenbeleuchtung an und verkündet das
Nahen eines weiteren Frühlingsabends. Anna muss los. Seufzend klappt sie das
Buch zu und streicht vorsichtig über den Einband. „Bleiben nur mehr ungefähr
hundert“, murmelt sie, als sie den Stapel auf ihrem Schreibtisch betrachtet.
    Anna mag ihre Bücher. Die alten wie die neuen.
Mittlerweile passen endgültig keine Regale mehr in ihre Wohnung. Manche
Menschen stecken ihr gesamtes Gehalt in Kleidung, Autos oder andere
Vergnügungen. Anna hingegen hebt den Jahresumsatz der Buchhandlungen in der
Umgebung um mindestens 40 Prozent. Wie jede späte Zwanzigerin, die etwas auf
sich hält, genießt sie natürlich die kleinen und großen Lustbarkeiten des
Lebens. Es ist nur so: Anna zieht los, um Kleider und Schuhe zu kaufen. Und
kommt meistens mit Büchern heim. Die regen sie zum Denken an. Und Anna denkt
unheimlich gerne.
    Umständlich verstaut sie ihre Brille im Etui und
setzt sich die Kontaktlinsen ein. Mit ihrem langen dunkelblonden Haar, den
großen graublauen Augen und einem Körper, für den sich viele Frauen alle zehn
Finger und die meisten Männer noch was ganz anderes abschlecken würden, ist
Anna eine hübsche junge Frau. Und das weiß sie auch. Es ist ihr – meistens –
nicht so wichtig. Aber der silberne Rahmen stört nun mal die Symmetrie des
Gesichts. Findet Anna.
    Sie wirft einen Blick in den Spiegel, zwinkert ihrem Abbild zu,
nimmt im Hinausgehen die Handtasche vom Garderobenhaken und ihre Schuhe in die
Hand. Auf Zehenspitzen eilt sie zum Lift. Sie will ihrer Mutter nicht in die
Hände laufen. Direkte Anbindung ans elterliche Zuhause bietet zahlreiche
Vorzüge. Und ein bis zwei Nachteile.
    Diesmal ist Sophie schnell. Sie erreicht Anna
ausnahmsweise noch vor ihrer Alkoholfahne. „Und, Anna, wo geht´s heute hin?
Soll ich dir nicht noch eine Weste bringen?“ - „Mama… erstens: Ich gehe zur
Arbeit. Zweitens: Ob du es glaubst oder nicht, ich kann mich schon ganz alleine
anziehen. Und drittens: nimm die Cocktailschirmchen aus deinem Haar. Das sieht
lächerlich aus. Stell dir vor, Papa kommt heim und sieht dich so!“
    Als ob Papa wirklich kommen würde. Anna weiß gar
nicht mehr, wann sie ihren Vater zuletzt gesehen hat. Friedrich Gross ist
Direktor und Vorstandsvorsitzender einer Bank. Der Bank. Da hat man
schon viel zu tun. Immerhin finanziert er damit das Leben seiner Familie. Das
prachtvoll eingerichtete Penthouse in der Wiener Innenstadt, die drei Autos in
der Garage, all die anderen Annehmlichkeiten, das kostet sicher eine Menge.
Aber deswegen fast nie heimzukommen ist trotzdem ziemlich asozial.
    Anna hegt ihrem
Vater gegenüber sehr zwiespältige Gefühle. Sie verbindet einerseits wunderbare
Erinnerungen mit ihm und natürlich hat sie ihn lieb. Jede Tochter liebt ihren
Papa. In der Kindheit, weil sie ihn heiraten will. Und in der Jugend, weil er
nicht ganz so peinlich ist wie die Mutter. Andrerseits lässt er seine Familie
nun schon zu lange im Stich. Nicht als Ernährer. Aber als Ehemann und Vater.
Sophies Erklärungen zum Thema reichen von: „Papa braucht einfach ein wenig Zeit
für sich“ über: „Er trägt eben eine sehr große Verantwortung. Und er sucht sich
den Ausgleich auf seine Art“ bis hin zu: „Das ist halt so eine Phase“. Die
Phase dauert jetzt schon mehr als zehn Jahre.
    Anna selbst ist das grundsätzlich egal. Sie ist
erwachsen und führt ihr eigenes Leben. Aber sie sieht, wie verletzt ihre Mutter
ist. Und leidet mit ihr. Heimlich nur, um Sophie nicht noch mehr aufzuwühlen.
Anna wohnt so nahe, weil sie ihre Mutter nicht verlassen will. Sie bringt es
einfach noch nicht übers Herz, wegzuziehen. Es ist schlimm genug, dass Sophie
einsam ist. Sie soll nicht auch noch alleine sein. Es muss
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