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Totgekuesste leben laenger

Totgekuesste leben laenger

Titel: Totgekuesste leben laenger
Autoren: Kim Harrison
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Freier Wille? Schicksal? Das ist ein und dasselbe. Ich kann keinen Unterschied erkennen. Deswegen kann nur ein Mensch die Zeit so krümmen, wie er will. Wenn man hoch genug fliegt, ist es zwar kein Problem, um die Ecken der Zeit zu spähen, aber es wird schwierig, Zukunft und Vergangenheit auseinanderzuhalten.« Das war eine Entscheidung, die eigentlich keine war. Ein Schicksal, das durch den freien Willen bestimmt wurde. Ich wollte nicht sterben, also gab es nur eine Wahl. Wie in einem Traum ergriff ich mein Amulett, mein Leben. Die Haut des Seraphen war kühl, und als sich unsere Finger berührten, spürte ich, wie sich die Weite des Weltalls in meinen Gedanken vor mir ausbreitete. Der Stein war warm. Ich schloss die Finger darum, nahm ihn von Neuem in Besitz. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung erhob sich der Engel. »Sie hat ihren Platz eingenommen.« So schnell war so was also vollbracht. Ohne Trompeten, ohne Fanfaren. Das Amulett lag in meiner Hand, es fühlte sich an wie immer. Schockiert sah ich auf. Das war's? Und jetzt bin ich die schwarze Zeitwächterin?
    Ron seufzte. Nakita stand an meiner Seite, die Angst, dass ich sie nun verstoßen würde, stand deutlich in ihren weit aufgerissenen Augen.
    »Was befiehlst du mir zu tun?«, flüsterte sie. Sie flehte mich an, ihr eine Aufgabe zu erteilen.
    Verwirrt sah ich den Seraphen an.
    »Du hast einen Wunsch. Sie wird sich darum kümmern«, erklärte er.
    »Rette Josh«, sagte ich voll Staunen, dass es so einfach sein sollte. Nach all meinen Mühen musste ich jetzt nichts tun als fragen? »Hilf Barnabas.« Nakita zog die Augenbrauen hoch, ihr Mund öffnete sich. »So was hab ich noch nie gemacht«, entgegnete sie.
    Ron gab einen erstickten Laut von sich.
    »Bitte«, fügte ich hinzu und legte meine Finger um ihre, die ihr Schwert hielten.
    Nakita nickte. Ihre Flügel tauchten verschwommen aus dem Nichts auf. Sie hüllte sich in schimmerndes Weiß und verschwand mit einem sanften Seufzer in der Luft.
    »Ein guter Anfang«, sagte der Seraph und zog meine Aufmerksamkeit schlagartig wieder auf sich. »Du erkennst, was richtig ist, Madison. Dein Freund Josh wird hier noch gebraucht.« Lächelnd beugte er sich zu mir vor. Ich konnte mich nicht bewegen, als der Duft klaren Wassers in mich strömte, meine Ängste kühlte und mich mit Frieden erfüllte. »Du solltest jetzt gehen, bevor dein Vater nach dir ruft«, sagte er. Als er mich auf die Stirn küsste, verlor ich das Bewusstsein.

13
    Es war laut. Die Aufregung des ersten Schultags, zuknallende Spindtüren. Die Lehrer versuchten gar nicht erst, das Ganze unter Kontrolle zu halten. Three Rivers war klein und sie mussten in den Pausen nicht auf dem Gang Wache schieben, wie es an meiner alten Schule üblich gewesen war. Dort war es einfach zu voll gewesen, um die Schüler ohne Aufsicht herumlaufen zu lassen. Ein weiterer Vorteil des Kleinstadtlebens.
    Ich schob meine Bücher in den Spind und kramte meinen Stundenplan hervor. Die Überschrift lautete Abschlussklasse. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Abschlussklasse. Ein gutes Gefühl. Und was noch besser war, ich war nicht mehr die Neue. Jawohl, von dieser Spitzenposition war ich verdrängt worden.
    »Was ist denn Hauswirtschaftslehre?«, fragte Nakita gedehnt und spähte auf den schmalen gelben Streifen Papier in ihrer Hand. Heute Morgen hatte ich ihr geholfen, Klamotten für die Schule rauszusuchen. Ich fand, sie sah gut aus in ihren Designerjeans und den Sandalen, in denen man ihre schwarzen Zehen sah. Ich hatte sie ihr gar nicht in dieser Farbe lackieren müssen. Anscheinend hatten schwarze Engel eben schwarze Zehennägel.
    Barnabas schob seinen Rucksack über die Schulter. Mit seinen Jeans und seinem T-Shirt sah er aus wie jeder andere Junge in der Schule. »Das wird dir gefallen, Nakita«, spottete er. »Da lernst du, dich anzupassen. Versuch nur, deinen Partner nicht gleich zu vollstrecken, wenn er die Plätzchen anbrennen lässt.«
    Ich verkniff mir ein Lachen bei der Vorstellung, wie der komplett ahnungslose Engel sich bemühte, die perfekten Plätzchen zu backen. Mein Blick wanderte wieder zu meinem eigenen Stundenplan. Physik. Dann eine Stunde Freiarbeit. Englischleistungskurs mit Josh. Fotografie. Das Jahr fing gut an.
    Beim Versuch durchzublicken, trat Nakita ein Stück von den Spinden zurück und hielt damit beinahe den gesamten Verkehr auf. »Was haben denn Plätzchen mit Wirtschaft zu tun?«, wollte sie wissen und warf ihr Haar mit einer
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