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Totenwall

Titel: Totenwall
Autoren: Boris Meyn
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Flächensanierung bestimmten auch in weiteren Quartieren den Aufbruch Hamburgs zur modernen Großstadt. Vor allem für die städtischen Großbauten, die seit 1909 unter der Federführung des späteren Oberbaudirektors Fritz Schumacher (1869–1947) geplant wurden, musste Platz geschaffen werden. Nicht immer gingen die Niederlegungen, so etwa in St. Pauli bei dem Bau des Tropeninstituts (ab 1910) am Elbhang, ohne erhebliche Proteste der Bewohner einher. Auch das inzwischen eine Tradition, die bis in die Gegenwart anhält und jüngst den Abriss der letzten Rudimente eines Gängeviertels am Valentinskamp verhindern konnte.
    Ebenfalls in St. Pauli wurden im Jahre 1910 durch Gründung einer Fußballabteilung die Wurzeln für einen legendären Fußballverein, den 1.  FC St. Pauli, gelegt. Allerdings nicht durch David Bischop, den Adoptivsohn des fiktiven Protagonisten Sören Bischop. Dessen Familie, Mathilda, Ilka und Robert, sind genauso frei erfunden wie das Dienstmädchen Agnes, Sekretärin Paulina Völckert und Freund Martin Hellwege. Martins rechts gelenkter Opel Double Phaeton muss 1910 eines der größten und luxuriösesten Autos auf Hamburgs Straßen gewesen sein. Wer sich überhaupt ein Automobil leisten konnte, fuhr für gewöhnlich den Volkswagen der damaligen Zeit, einen kleinen Brennabor. Die Ausstellungs- und Verkaufsräume der Firma Brennabor waren im Erdgeschoss des Semperhauses in der Spitalerstraße gelegen, unterhalb der Bauverwaltung des Betreiberkonsortiums der späteren HHA . Geschwindigkeitsbegrenzungen für Automobile gab es 1910 schon genauso wie die Einnahmen durch staatliche Wegelagerei. Allein auf der Straße von Hamburg nach Bergedorf flossen innerhalb eines Jahres über 8000 Mark Bußgelder wegen Überschreitung der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit ins Stadtsäckel. Die schnellen Motorfahrräder kamen meist unbehelligt davon. Ob es 1910 tatsächlich schon eine Harley-Davidson Twin (1909) auf Hamburgs Straßen gegeben hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Sören Bischop war jedenfalls nicht der Advokat, der damals für die schwerreiche Witwe des in New York gestorbenen Hamburger Kaufmanns Gustav Amsinck tätig war. Mit einem Vermögen von mehr als 20 Mio. Dollar zählte sie zu den reichsten Frauen des Kontinents.
    Der Freundeskreis von David Bischop ist ebenfalls frei erfunden. Erwin Schmalfeld und Rosa Wimmer hat es nie gegeben. Mit Liane Kronau verhält es sich anders. Tatsächlich gab es im Jahre 1910 eine Aeronautin, die unter diesem Namen auf einem Fahrrad sitzend von einem Ballon in die Höhe getragen wurde. Aufführungsplatz dieses Spektakels war das Varieté am Alten Schützenhof in Barmbek (damals noch Barmbeck geschrieben), dessen Besitzer allerdings nicht Theodorus Offenbach hieß. Mehr war über diese Aeronautin nicht herauszufinden, und so habe ich ihre Erscheinung für meine Geschichte passend geformt. Die Völkerschauen und Indianertänze im Hagenbeck’schen Tierpark, der gerade erst auf das Gelände in Stellingen (Lokstedt) umgezogen war, sind hingegen historisch verbürgt.
    Die Aeronauten und Ballonfahrer waren zu jener Zeit tatsächlich Abenteurer der Lüfte, und ihre spektakulären Darbietungen zogen die Menschenmassen magisch an. Das in diesem Roman geschilderte Schaufliegen mit Adolf Behrend (1869–1945) und dem Ingenieur Robert Thelen (1884–1968) auf dem Gelände des späteren Flughafens in Fuhlsbüttel fand tatsächlich im Mai 1910 statt. Der deutsche Eindecker Schul(t)ze-Herford war mehr oder weniger baugleich mit der französischen Blériot  XI . Aussehen und Charakter von Adolf Behrend entsprechen nicht der wirklichen Person, über die wenig in Erfahrung zu bringen war. Der aus Königsberg stammende Behrend war von Beruf aus Jongleur, der auch unter dem Künstlernamen
Salerno
auftrat. Am 3. Mai 1910 erwarb er die deutsche Fluglizenz mit der Nummer 7. Im gleichen Jahr gewann er mehrere hochdotierte Fliegerpreise und stellte diverse Hoch- und Weitflugrekorde auf. Gemeinsam mit Thelen (Lizenz Nr. 9) war er als Pilot Teilnehmer im Ersten Weltkrieg.
    Ein weiterer Anziehungspunkt, wenn nicht
das
gesellschaftliche Ereignis überhaupt, waren die vom Hamburger Renn-Club veranstalteten Galopprennen des Horner Derbys. Die topographischen und baulichen Gegebenheiten in Horn habe ich so exakt wie möglich zu beschreiben versucht. Bei den festgelegten Terminen der einzelnen Rennen und Veranstaltungen musste ich hingegen etwas schummeln. So besuchte die Kaiserin
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