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Totenwall

Titel: Totenwall
Autoren: Boris Meyn
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Fenster schon lange nicht mehr geöffnet worden waren.
    «Die reinste Bruchbude», murmelte einer der Wachtmeister. «So etwas gehört abgerissen …»
    Andresen klopfte an die Tür, aber nichts regte sich bis auf ein paar Tauben, die hektisch vom Dachfirst aufflatterten. Das Schloss erwies sich als hartnäckig. Einer der Wachtmeister holte eine Brechstange, aber selbst damit ließ sich die Tür nicht überwinden. «Da hängt sicher ein Balken vor», mutmaßte Andresen. «Aber einen anderen Eingang habe ich nicht gesehen.»
    Sie umrundeten die Kate ein weiteres Mal, und nun fiel ihnen auf der Rückseite die Leiter auf, die an der Hauswand lag und bis zu einer kleinen Heuluke reichen sollte.
    «Na, dann mal los», sagte Andresen, nachdem sie die Leiter angelegt hatten. Er selbst ging voran, eine eiserne Karbidleuchte in der Linken. Die Luke war nicht gesichert und bot einen schmalen Einstieg. «Jemand zu Hause?», rief er ins Innere, dann verschwand sein Körper langsam im Dunkel.
    «Alles in Ordnung dadrinnen?» Der junge Wachtmeister zögerte, Andresen zu folgen. Keine Antwort. Auf der Leiter stehend, wiederholte er die Frage, aber nichts tat sich. Schließlich stieg er Andresen nach. Eine Zeitlang war nichts zu vernehmen, und Sören hatte gerade beschlossen, als Nächster hinterherzuklettern, da erschien der Wachtmeister wieder in der Luke, das Gesicht kreidebleich. Er schaffte es gerade noch die Sprossen herunter, bevor er sich übergab.
    «Was ist dadrinnen?», fragte Sören und blickte den Mann fragend an, der aber schüttelte sich nur und erbrach sich ein weiteres Mal. Er zitterte am ganzen Körper und reagierte auch nicht, als Sören ihn heftig an der Schulter packte. «Sprechen Sie, Mann!» Keine Reaktion. Sein Blick ging ins Leere. Der Mann stand zweifellos unter Schock. Sein Kollege kümmerte sich um ihn, und Sören krabbelte die Leiter empor. Immer noch keine Antwort von Andresen.
    Dunkelheit empfing Sören, als er sich durch den Einstieg gequetscht hatte. Ein süßlich saurer Geruch stieg ihm in die Nase. Er hielt inne, bis sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten. Irgendwo im hinteren Bereich konnte er den schwachen Schein von Andresens Laterne ausmachen. Er tastete sich vorsichtig vorwärts. «Andresen! Sind Sie hier?», rief er in den Raum, erhielt aber keine Antwort. «Alles in Ordnung?»
    Eine schmale Stiege führte nach unten. Sören tastete sich voran, die Hände schützend vor sich ausgestreckt. Für einen Augenblick war der Schimmer der Karbidleuchte verschwunden, und es war stockfinster. Kurz darauf wieder ein schwaches Leuchten, dem er folgte. Plötzlich hielt Sören inne. Der Raum, der sich vor ihm ausbreitete, glich einem Höhlenraum. In der Mitte konnte man eine Art Schlafstätte ausmachen, Reisigmatten, Stroh und ein paar Felle. Vor sich erkannte er die Umrisse von Andresen. Der Polizeihauptmann saß auf dem Boden. Er hatte Sören den Rücken zugewandt. Es war zu sehen, wie er unablässig den Kopf schüttelte.
    Der Schein der Karbidleuchte verlor sich zu einem schwachen Lichtstrahl. «Alles in Ordnung mit Ihnen?», fragte Sören und erhielt ein schwaches Seufzen als Antwort. Es klang, als weine Andresen. Dann sah er im Schein der Laterne, was Andresen betrachtete. «Ach, du Scheiße», entfuhr es Sören, und er konnte ein Aufbäumen seines Magens nur schwer unterdrücken. Rings um die Schlafstätte waren sie aufgestellt, die Trophäen. Die Köpfe waren auf Pfählen aufgespießt.
    «Es ist so furchtbar», murmelte Andresen. «Und das inmitten einer zivilisierten Stadt. Unfassbar. Ich habe so etwas noch nicht gesehen.»
    Es war ein Anblick, den auch Sören nie vergessen würde. Als würden sie einen anschauen, aber die Augenhöhlen waren leer. Andresen murmelte etwas Unverständliches, dann richtete er sich langsam auf. «So etwas glaubt man nur, wenn man es gesehen hat. Das reinste Gruselkabinett.» Er leuchtete mit der Lampe auf einen der Köpfe. Nur an den langen Haaren, die ausgehärtet durch eine blutverschmierte Kruste abstanden, konnte man erkennen, dass es sich um einen Frauenkopf handelte. Die Gesichtszüge waren mumifiziert. Andresen leuchtete zum nächsten Kopf, der nicht viel angenehmer aussah.
    «Der Kerl muss ein Tier sein.» Er leuchtete weiter, und in diesem Augenblick lief Sören ein eiskalter Schauer über den Rücken. Im Schein der Laterne funkelte ein Augenpaar. Sören blieb fast das Herz stehen. Bevor er sich der Gefahr bewusst war, durchschnitt ein kehliger
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