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Totenwall

Titel: Totenwall
Autoren: Boris Meyn
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Anfangs glaubte er wohl, aus der Nummer rauszukommen. Aber den Zahn haben wir ihm gezogen. Soweit ich es verstanden habe, hatte Goldmann Wettschulden bei ihm. Eine ziemliche Summe übrigens. Unser Bankierssohn hat wohl schon längere Zeit ein Leben jenseits seiner Möglichkeiten geführt. Jedenfalls war er nach Kaminskys Beschreibung recht umtriebig und säumig. Irgendwann soll er Kaminsky dann den Tipp mit der Bank seines Vaters gesteckt haben. Ob auf dessen Vorschlag oder aufgrund eines eigenen Plans, konnten wir noch nicht herausfinden. Die Aussagen von Börner lassen es ja durchaus als denkbar erscheinen, dass Kaminsky Goldmann erst auf die Idee gebracht hat. Jedenfalls hat er Kaminsky einen Lageplan und exakte Grundrisse des Bankhauses ausgehändigt, woraufhin der den Bruch organisiert haben will. Den Mord am Senior streitet Kaminsky ab. So etwas sei auch niemals Teil des Plans gewesen.»
    «Sagt er. Was sagt Goldmann?»
    «Meine Leute haben ihn heute festgenommen. Er bestreitet die Tat. Aber ich denke, das hat sich erledigt. Wenn wir ihn mit den Fakten und Kaminskys Aussage konfrontieren, wird er singen wie ein Vögelchen. Entweder er hat es raffiniert eingefädelt, oder es war ein spontaner Entschluss. Ein Vatermord bleibt es trotzdem.»
    «Welche Rolle spielt die Rischtschestova? Die Oechslin?»
    «Ich glaube, Kaminsky hat sie auf den Junior angesetzt, als er begriffen hat, was da zu holen ist. Ob das erst geschah, als ihm die Beute des Bankraubs durch die Lappen gegangen war, wissen wir noch nicht. Zur Gräfin schweigt Kaminsky. Auch die Tatsache, dass sie das Geld von Goldmann abgehoben hat, konnte ihn nicht zum Reden bewegen. Wir versuchen gerade, ihrer beider Werdegang abzugleichen. Das Material aus Berlin ist so umfang- wie aufschlussreich. Tatsächlich sieht es so aus, als wenn Kaminsky und sie unter einer Decke stecken würden. Wir konnten zwei Fälle rekonstruieren, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass Kaminskys Betrügereien tatsächlich ihren Ursprung in besagtem Etablissement im Wedding hatten. In Berlin hat man diesem Umstand bislang keine besondere Bedeutung zugemessen. Auch die Tatsache, dass sowohl Kaminsky als auch die Oechslin ungefähr zum gleichen Zeitpunkt von der Bildfläche verschwunden sind, hat niemanden stutzig gemacht. Dafür ist die Historie der Isolde Oechslin ausführlich dokumentiert. Über sie selbst gibt das Material allerdings wenig Neues her. Aber umso mehr über ihren Bruder Arno. Allerdings aus einem ganz anderen Grund. Wir sind gerade dabei, das abzugleichen. Sehr interessant auf jeden Fall.» Andresen machte eine Geste des Bedauerns. «Wenn Sie sich das hier einmal zu Gemüte führen wollen?»
    Er reichte Sören einen Bericht, der den Stempel des Reichs-Kolonialamts trug. Verfasst war er von Medizinalrat Dr. Wendland, dem verantwortlichen Mediziner für die Deutschen Schutzgebiete.
    Wendland befasste sich in seinem Bericht mit den Vorkommnissen auf der Insel Kabakon im Südwesten von Neulauenburg, das dem deutschen Gouvernement für Neuguinea unterstand. Es war ein dringlicher Appell, den Aufrufen von angeblich geistig gestörten Individuen nicht zu folgen. Sören überflog die drei Blätter. Es ging um den sogenannten Sonnenorden von August Engelhardt, einem Sonnenfanatiker und Naturapostel, der dort vor wenigen Jahren eine Kokosnussplantage erworben hatte und inzwischen offenbar vom Wahnsinn befallen war. Wendland attestierte Engelhardt jedenfalls Paranoia in fortgeschrittenem Stadium, nicht nur was den von ihm proklamierten Kokovorismus betraf – die alleinige Ernährung durch Kokosnüsse –, sondern vor allem seine damit einhergehenden Spinnereien, die jeglicher Grundlage entbehrten. Engelhardt behauptete zum Beispiel, dass das menschliche Gehirn seine Nahrung aus den Haarwurzeln ziehe, die wiederum von der Sonne gespeist würden. «Die ausschließliche Kokosnuss-Diät macht unsterblich und vereint mit Gott, denn nackter Kokovorismus ist Gottes Wille», solche Dinge proklamierte der Wahnsinnige.
    Nach Wendlands Meinung werde Engelhardt spätestens in einem Jahr im Irrenhaus landen, wenn er nicht vorher verhungert oder an irgendeinem Fieber gestorben war. Wie viele andere auch, die er bislang auf seine Insel gelockt hatte. Und damit beschrieb Wendland das eigentliche Problem, denn die Jünger des Sonnenordens kamen in gutem Glauben. Einige starben nach kurzer Krankheit, teils auf mysteriöse Art und Weise, die meisten reisten nach kurzem Aufenthalt
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