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Totenwall

Titel: Totenwall
Autoren: Boris Meyn
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Glas. Irgendwie hatte er etwas anderes erwartet, etwas Bedeutungsvolleres. Aber David war schon immer vom Fußballspiel besessen gewesen. Kein Wochenende, an dem er nicht irgendwo dem runden Leder nachlief. Für ihn war es wahrscheinlich etwas sehr Bedeutendes. Er versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Den Frauen schien es ähnlich zu gehen, aber alle prosteten den Vereinsgründern zu.
    «Ja, und dann gibt es noch etwas …»
    Sören rechnete damit, dass David nun bekannt geben würde, er und Liane Kronau hätten sich verlobt, erwarteten Nachwuchs oder etwas Gleichrangiges – sofern es das überhaupt gab.
    «Mein Entwurf für die zukünftige Hochbahnhaltestelle in Mundsburg ist angenommen worden», erklärte David.
    Wie es aussah, legte Sören einfach eine falsche Erwartungshaltung an den Tag, auch wenn er sich sehr für David freute. So etwas musste für einen Architekten etwa so viel bedeuten wie ein gewonnener Prozess für einen Anwalt. Dennoch war Sören skeptisch. Er kannte den Rang, in dem David stand. «Trägt der Entwurf deinen Namen oder den der Architekten, für die du arbeitest?»
    «Letzteres», antwortete David beiläufig. «Aber dennoch habe ich nun etwas, was ich vorweisen kann. Es geht mir nicht darum, unter den Blicken der Öffentlichkeit zu glänzen, sondern um die Anerkennung meiner Arbeit unter den Sachverständigen. Und so ganz liege ich mit dieser Einschätzung wohl nicht daneben …» Er grinste. «Ich hatte letzte Woche ein Gespräch mit dem neuen Leiter des Hochbauamtes, Schumacher. Er war sehr angetan von meinen bisherigen Arbeiten und meinte, dass ich im Hochbauamt gut aufgehoben wäre.»
    «Du willst in den städtischen Dienst eintreten?»
    «Wie es aussieht, gibt es zumindest die Option», erklärte David. «Professor Schumacher plant für die nächsten Jahre eine Reihe monumentaler Staatsbauten. Er sagte, er könne sich gut vorstellen, dass meine Arbeit eine Bereicherung für seinen Stab darstellt. Es ist ja so, dass ich bei den Herren Raabe und Wöhlecke immer in deren Schatten stehen werde. Wie du schon richtig angemerkt hast, tragen meine Entwürfe ihre Namen.»
    «Das wird aber bei Professor Schumacher nicht anders sein, oder?»
    «Am Anfang sicher nicht. Dennoch erwarte ich allein aufgrund der Bauaufgaben einen deutlichen Zuwachs meiner Kompetenzen. Nicht zu vergessen, dass ich fast doppelt so viel verdienen werde.»
    «Das ist natürlich ein Argument.»
    «Ich habe mir bis Ende des Monats Bedenkzeit erbeten. Aber eigentlich steht mein Entschluss bereits fest.»
    «Na dann!» Sören hob erneut sein Glas. «Auf den zukünftigen Stadtbaumeister.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 2
    G egen zehn Uhr bog Sören mit seinem knatternden Gefährt von der Pelzerstraße in die Schauenburgerstraße ein. Fast wäre er auf ein Pferdefuhrwerk aufgefahren, das direkt hinter der Kreuzung abgestellt war. Einer Kollision mit der herannahenden Straßenbahn konnte er nur durch einen beherzten Griff zum Gaszug entgehen. Er beschleunigte. Die Leute auf dem Bürgersteig gafften ihm hinterher.
    Es kam nur selten vor, dass er so spät in der Kanzlei auftauchte. Heute war einer dieser Tage. Nichts wollte klappen. Erst der unnötige Streit mit Tilda am Frühstückstisch, er wusste nicht einmal mehr, worum es ursprünglich eigentlich gegangen war, dann der platte Vorderreifen, den es noch schnell zu flicken galt, und schließlich die schier endlosen Startversuche, bis der Motor endlich angesprungen war. Hinzu kamen die Zahnschmerzen. Es wurde von Tag zu Tag schlimmer.
    Innerlich verfluchte er seinen Entschluss, das Fahrrad gegen diese launische Höllenmaschine eingetauscht zu haben, andererseits bot ihm das Motorfahrrad, so es denn anspringen wollte, doch gehörigen Komfort. Auf die Dauer war ihm die tägliche Strampelei einigermaßen mühsam vorgekommen, und nachdem sich selbst Martin im letzten Jahr eins der neumodischen Automobile zugelegt hatte und pausenlos davon schwärmte, hatte sich Sören dazu durchgerungen, mit der Zeit zu gehen und seine täglichen Fahrten motorisiert zurückzulegen. Ein Automobil war nicht in Frage gekommen. Zum einen waren die Wagen sehr teuer, und in der Schauenburgerstraße war keine Abstellmöglichkeit vorhanden, und zum anderen ließ die Verkehrssituation der Stadt für ein breites Automobil im Allgemeinen kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit zu. Und so, wie derzeitig gebaut wurde, ohnehin nicht.
    Dennoch war es mehr oder weniger Zufall gewesen, wie
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