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Totenwache - Thriller

Totenwache - Thriller

Titel: Totenwache - Thriller
Autoren: PeP eBooks
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beabsichtigen Sie, wegen einer Organspende an die Familie heranzutreten. In solchen Fällen ist es oft hilfreich, wenn ein Geistlicher zugegen ist.«
    »Nein danke.« Julian ging an dem Priester vorbei und aktivierte mit dem Handrücken den Heißlufttrockner.

    »Darf ich fragen, warum nicht?«, wollte der Priester wissen.
    »Tut mir leid«, sagte Julian und rieb seine Hände im Luftstrom.
    Der Priester wartete geduldig, bis das lärmende Gerät sich wieder ausschaltete. »Warum nicht?«, wiederholte er dann.
    Julian drehte sich in seine Richtung. »Ich werde in wenigen Minuten eine Mutter und einen Vater darum bitten, dass ein Chirurg ihrer Tochter die Nieren entnehmen darf. Die Tochter der beiden ist tot. Die beiden wissen das, aber sie können es noch nicht empfinden. Klinisch ausgedrückt, gibt es zwischen Leben und Tod eine klare Grenze. Doch auf der Gefühlsebene existiert eine solche Grenze nicht. Deshalb möchte ich unbedingt vermeiden, dass ein Priester den Leuten etwas von der ›Auferstehung des Fleisches und dem ewigen Leben‹ erzählt.«
    Der Priester schüttelte den Kopf. »Sie scheinen da etwas misszuverstehen. Die katholische Kirche befürwortet die Organspende für Transplantationszwecke vorbehaltlos …«
    »Hier geht es nicht darum, was Sie befürworten, sondern wofür Sie stehen «, sagte Julian. »Sie erzählen der Familie: ›Angelita ist gar nicht tot. Sie lebt immer noch. Sie kann Sie hören, sie kann Sie sehen. Sprechen Sie mit ihr. Beten Sie für sie.‹ Ich sage zu den Angehörigen: ›Angelita ist tot. Sie kann weder etwas hören noch fühlen. Deshalb bitte ich Sie um ihre Nieren. Stellen Sie die Organe bitte einem Menschen zur Verfügung, der wirklich lebt.‹ Sie möchten, dass die Leute innerlich bei den Toten verweilen. Ich dagegen möchte, dass sie über die Lebenden nachdenken. Nein, vielen Dank.«
    Der Priester schüttelte den Kopf. »Wenn Ihnen die Toten
gleichgültig sind, interessieren Sie sich auch nicht ernsthaft für die Lebenden.«
    Julian ging zur Tür. »Sie können von mir aus Ihr Weihwasser versprengen, Ihr Weihrauchgefäß schwenken und für die Toten beten. Ich arbeite lieber für Leute, die noch am Leben sind.«
    Der Priester sah ihn erstaunt an. »Bemerkenswert. Dann sind Sie also völlig ungläubig?«
    Julian drehte sich zu ihm um. »Soll ich Ihnen sagen, woran ich glaube?«, fragte er. »Vor einem Jahr hat der Schweizer Biochemiker Jean Borel das Ciclosporin entdeckt, einen Wirkstoff, der die Immunabwehr unterdrückt. Dieses Mittel wird aus Schlauchpilzen isoliert. Bislang waren Transplantationen reine Glückssache. Doch die Markteinführung des Ciclosporins wird die Transplantationsmedizin revolutionieren. Dann ist es vorbei mit der Gewebeabstoßung und mit Überlebensraten von rund zwanzig Prozent. Stellen Sie sich das mal vor. Dann leben die Leute plötzlich zehn, zwanzig, dreißig Jahre länger. Dann sind Krebserkrankungen und genetische Defekte beherrschbar. Dann wird sich unsere Lebensdauer und -qualität drastisch verbessern, weil wir auf Ersatzteile zurückgreifen können. Und nicht nur auf Nieren und hier und da mal eine Leber. Nein, dann sind plötzlich auch Darm- und Lungentransplantationen möglich … und Herzverpflanzungen. Hören Sie … Herzverpflanzungen «, ereiferte sich Zohar.
    »Und wenn es mal so weit ist, Hochwürden Wie-immer-Sie-heißen, wissen Sie, was dann das Hauptproblem der Transplantationsmedizin sein wird? Leute wie Sie: Leute, die andere dazu anhalten, sich mit der Vergangenheit statt mit der Zukunft zu befassen. Denn wir sind natürlich darauf angewiesen, dass die Leute trotz all der wundervollen technischen Möglichkeiten auch dazu bereit sind, ihre Organe
zu spenden - und genau in der Hinsicht muss sich etwas ändern.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Der westliche Individualismus ist den meisten anderen Kulturen völlig fremd. Hier bei uns herrscht die Vorstellung, dass jeder Mensch ohne Einschränkung über den eigenen Körper verfügen kann - sogar über den Tod hinaus. In anderen - meiner Ansicht nach aufgeklärteren - Kulturen kommt dem Kollektiv ein absoluter Vorrang zu. Die Leute dort glauben, dass die Rechte des Einzelnen an seinem Körper im Augenblick des Todes an die Gemeinschaft zurückfallen und dass es dem Kollektiv dann freisteht, den Körper des Verstorbenen für einen höheren Zweck zu verwenden.«
    »Wie schrecklich.«
    »Finden Sie? Ich dagegen finde die Vorstellung viel schrecklicher, den Toten Macht über die
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