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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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emotional, aber die Geburt von Bowen und der Verlust von Jenna haben ihren Tribut gefordert. Von Tag zu Tag ist sie mehr dahingewelkt. Ich hatte gehofft, Linden wäre in der Lage, ihr Trost zu spenden, damit sie es nicht so schwernimmt, wenn ich nicht mehr da bin. Aber es gibt Zeiten, in denen er sie nicht erreichen kann – wenn ihr Kummer für ihn zu schwer nachvollziehbar und nicht zu verstehen ist. Wie jetzt, als ihre Hand in meine gleitet und mich ganz fest hält – und unser Ehemann zu einem bloßen Schatten in der Tür wird.
    »Nun komm, du solltest dich wieder hinlegen«, sage ich und sie lässt sich von mir zu ihrem Bett führen. Ich decke sie zu. Ihre Augen sind schon geschlossen. Sie ist immer so erschöpft.
    »Rhine«, sagt sie. »Es tut mir so leid.«
    »Was denn?«, frage ich. Aber sie ist schon eingeschlafen.
    Ich drehe mich zur Tür um und merke, dass Linden nicht mehr da ist. Wahrscheinlich hat er sich davongestohlen, während ich versucht habe, Cecily zu trösten, weil er befürchtet hat, alles noch schlimmer zu machen. Cecilys Launen sind unberechenbar, ganz besonders jetzt, wo sie um Jenna trauert. Ihre Heftigkeit macht ihm schreckliche Angst. Ich denke, ihr Kummer erinnert ihn an den Verlust von Rose.

    Eine Weile bleibe ich in der Tür stehen und lausche den Atemzügen meiner Schwesterfrau und ihres Sohnes, deren Umrisse im Mondschein kaum auszumachen sind. Und ein furchtbares Gefühl der Vergänglichkeit überkommt mich. Sehr bald wird Cecily ihre verbliebene Schwesterfrau verlieren und in weniger als vier Jahren wird sie auch ihren Ehemann verlieren. Und eines Tages wird es auf dieser Etage nur noch leere Zimmer geben und nicht mal ein Geist wird Bowen Gesellschaft leisten.
    Und dann wird auch er weg sein.
    Wie sehr seine Mutter ihn liebt, spielt keine Rolle. Liebe reicht nicht aus, um irgendeinen von uns am Leben zu halten.

In den Monat vor meiner Flucht verbringe ich meine ganze Zeit draußen. Noch immer liegt ein wenig Schnee. Ich wandere durch den Orangenhain. Ich spiele allein Minigolf. Und Stück für Stück vergeht der Monat.
    Am Morgen meiner geplanten Flucht liege ich auf dem Trampolin und lausche darauf, wie die Sprungfedern quietschen, wenn mein Körper sich bewegt. Das war Jennas Lieblingsplatz, ihre eigene Insel.
    Und hier findet Cecily mich. Einige Schneeflocken bleiben in ihren roten Haaren hängen. »Hey«, sagt sie.
    »Hey.«
    »Darf ich raufkommen?«, fragt sie.
    Ich klopfe auf den leeren Platz neben mir und sie klettert hoch. »Wo ist dein kleines Anhängsel?«, frage ich.
    »Bei Hausprinzipal Vaughn«, sagt sie ein bisschen unglücklich. Mehr Erklärungen sind nicht nötig. Sie legt sich neben mich, umschlingt meinen Ellenbogen mit beiden Armen und seufzt. »Was jetzt?«, fragt sie.
    »Ich weiß es nicht«, sage ich.
    »Ich hab wirklich nicht gedacht, dass sie sterben würde«, platzt es aus ihr heraus. »Ich dachte, sie hätte noch ein Jahr und bis dahin gäbe es ein Gegenmittel und …« Sie bricht ab.

    Ich liege auf dem Rücken und beobachte, wie sich ihr Atem und meiner in der kalten Luft auflöst.
    »Cecily«, sage ich. »Es gibt kein Heilmittel. Schlag dir das aus dem Kopf.«
    »Sei nicht so naturalistisch. Hausprinzipal Vaughn ist ein brillanter Arzt. Er arbeitet sehr hart. Nach seiner Theorie liegt das Problem darin, dass die Erstgenerationer im Reagenzglas gezeugt wurden. Wenn also ein Baby auf natürlichem Weg geboren wird, kann man es reparieren durch …«, sie zögert und versucht sich an die Worte zu erinnern, die sie dann so vorsichtig ausspricht, als könnten sie zerbrechen, »… externe Intervention.«
    »Klar.« Ich lache höhnisch. Dass meine Eltern ihr Leben der Suche nach einem Gegenmittel geweiht hatten und dass ich kaum glaube, Vaughn könnte dieselben Motive haben wie sie, erzähle ich Cecily nicht. Von Roses Leiche im Keller und von Jenna, die wahrscheinlich jetzt auch dort unten ist, in einem Gefrierschrank oder bis zur Unkenntlichkeit in Stücke geschnitten, erzähle ich ihr auch nichts.
    »Er wird ein Gegenmittel finden«, wiederholt Cecily energisch. »Das muss er.«
    Ich verstehe, warum sie die Augen vor der Wahrheit verschließt. Das Leben ihres eigenen Sohnes hängt von Vaughns imaginärem Gegenmittel ab. Aber ich bin nicht in der Verfassung, ihr etwas vorzuspielen. Ich schüttele den Kopf, beobachte, wie der Schnee von einem völlig weißen Himmel fällt und umherwirbelt. Die Welt wirkt so sauber, wenn man nur nach oben
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