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Totentaenze

Totentaenze

Titel: Totentaenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian , Krystyna Kuhn , Manuela Martini , Susanne Mischke
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mir einen Strich durch die Rechnung machte.
    In der U-Bahn sprach Conni die ganze Zeit über kein einziges Wort. Sie wischte sich nur immer wieder über den Mund. Kim und ich warfen uns jedes Mal einen besorgten Blick zu. Sie brauchte einen Drink und wir hofften, sie würde durchhalten, bis wir zu Hause wären. Kim quatschte ununterbrochen, um sie abzulenken. Connis Blicke wurden immer trüber und wirkten so feucht, als hätte sie eine Augenentzündung. Ihr Verhalten wurde noch eigentümlicher, als wir den Wohnblock erreichten. Sie schloss die Haustür auf und nahm mir – total strange! – die Reisetasche ab! Ausgerechnet Conni! Der trugen doch sogar die alten Omas aus der Nachbarschaft die Tasche mit den Flaschen hoch, weil sie selbst es nicht schaffte.
    »Vielleicht sollte ich doch erst mal nach Hause …«, überlegte ich, doch Conni schüttelte heftig den Kopf.
    Spätestens in diesem Moment war mir klar: Irgendetwas stimmte nicht.
    Nur was?
    Im Wohnzimmer ließ Conni sich völlig fertig auf das alte Sofa plumpsen, dessen Sitzfläche so durchgesessen war, dass sie sich im Grunde auch gleich auf den Boden hätte setzen können. Sie goss sich ein Glas Wodka ein, rülpste und fing von einer Sekunde zur anderen zu weinen an. Kim und ich standen in der Tür und starrten sie entsetzt an. Aus unterschiedlichen Gründen: Kim, weil eine Mutter, die rülpst und gleichzeitig weint, verdammt peinlich ist. Ich, weil das Kribbeln um meine Herzgegend zu einem Ring wurde, der sich fester und fester zog.
    »Mann«, murmelte Kim. »Die heult. Das kann nur bedeuten, dass deine Mutter total in der Scheiße sitzt!«
    Conni aber konnte mir nicht in die Augen sehen, als sie sagte: »Du wirst gleich abgeholt.« Ihre Stimme, vom Rauchen und Trinken heiser, klang noch kratziger als sonst. »Das Jugendamt bringt dich ins Heim. Ich habe deinen Koffer schon gepackt. Deine Mutter …« Hier brach sie ab, nahm einen weiteren Schluck und putzte sich die Nase.
    So hatte ich erfahren, dass Mami tot war. Conni hatte sie gefunden, den Krankenwagen gerufen, aber es war zu spät. Ich habe Mami nicht wiedergesehen. Nicht lebendig, ja nicht einmal tot.
    Und an jenem Abend im Heim habe ich zum ersten Mal inständig gebetet, der liebe Gott möge mir meinen unbekannten Vater schicken.
    Ich lag auf dem Bett und übertönte das Schweigen mit der Rapmusik, die Kim mir auf Kassette aufgenommen hatte. Papa hatte mir zwar einen iPod geschenkt, aber ich hatte das Ding noch nie benutzt – genauso wenig wie den Laptop. Ich war noch nicht so weit. Draußen war es stockdunkel. Der Vollmond war hinter der Wolkendecke verschwunden. Die Nacht wurde einzig und allein vom boshaften Grinsen der Kürbisse vor den Haustüren erleuchtet. Immer noch zogen Kinder durch die Straße und riefen »Trick or treat. Trick or treat. Was Schönes her, sonst hexen wir!«.
    Wie lange ich so lag? Keine Ahnung. Vielleicht war ich auch eingeschlafen. Ich glaubte, draußen im Flur Schritte zu hören, und hielt den Atem an. War das Jo? Würde er in mein Zimmer kommen? Nein. Das Geräusch war verschwunden. Gott sei Dank versuchte wenigstens er, nicht mit mir zu reden! Er hatte etwas an sich, was mich verunsicherte. Auf der einen Seite der große Schweiger, dann wieder kommentierte er alles mit spöttischem Grinsen. Auch Papa störte das, so viel hatte ich schon mitbekommen. Irgendwie tat er mir leid. Nicht nur Jo als Stiefsohn, sondern jetzt auch noch mich, das Kuckuckskind. Nur ein Satz von Mami vor sechzehn Jahren und alles wäre anders gelaufen. Wie es wohl gewesen wäre, in einer normalen Familie aufzuwachsen? Papa, Mami und ich? Nein, ich wollte nicht an Mami denken und an all das, was gewesen war. Oder eben nicht gewesen war. Entschlossen schüttelte ich den Kopf und beschloss, mir vor dem Abendessen noch eine heiße Dusche zu gönnen.
    Im Badezimmer war es genauso warm, wie ich es mir bei dem Wort Sauna vorstellte. Ich zog mich aus, legte meine Kleider ordentlich über den Wäschekorb. Dann zog ich die Tür zur Duschkabine auf, stieg hinein und drehte den Regler bis zum Anschlag, also kurz vor den Siedepunkt. Von dem heißen Wasser brannten die Narben am Arm und leuchteten rot.
    Ich schloss die Augen und hielt mein Gesicht unter den dampfenden Wasserstrahl. Mit dem Wasser schienen auch all meine Sorgen von mir abzufließen. So schlecht läuft es gar nicht, beruhigte ich mich, du hättest auch im Heim landen können. Stattdessen bist du jetzt stolzer Besitzer eines Vaters, der jede

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