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Totentaenze

Totentaenze

Titel: Totentaenze
Autoren: Beatrix Gurian , Krystyna Kuhn , Manuela Martini , Susanne Mischke
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Kloster aufgebrochen waren, erreichten wir endlich nach einer endlosen Fahrt in einem öffentlichen Bus und einem Fußmarsch über die staubige Via Appia Antica den Eingang der Katakomben. Als wir durstig und schon total müde dort ankamen, stieg gerade eine Gruppe grauhaariger deutscher Touristen munter plaudernd und noch völlig frisch in den wartenden, klimatisierten Reisebus.
    »Sieh dir die an! Und wir werden uns noch nicht mal im Alter so was leisten können«, hörte ich Levke brummen, die ein ganzes Stück vor mir neben Sandra und Julia ging. Wir vier trafen uns öfter nach der Schule, um ins Kino oder shoppen zu gehen. Sandras Bruder ist mit Levkes ältester Schwester verlobt und hin und wieder machten sich Levke und Sandra über die beiden lustig. Julia ist ein echtes Geschichtsgenie, man könnte sie nachts wecken und fragen, welches Leibgericht Papst Urban hatte, und sie würde die richtige Antwort geben.
    Hätte ich nicht wenigstens Julia heute Nacht mitnehmen sollen? In mir werden Zweifel wach. Warum nur denke ich immer, ich müsste alles allein durchziehen? Weil mich meine Mutter so erzogen hat? Ihr nur keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, war und ist meine Lebensdevise, seitdem uns mein Vater verlassen hat. Außerdem hat sie schon genug Sorgen und Mühe mit meiner behinderten Schwester. Ob Levke sich jemals solche Gedanken gemacht hat … Ich sehe zum Seitenfenster hinaus und vor die Bilder der nächtlichen Straßen schieben sich die von vor zwei Tagen.
    Vor dem Eingang zu den Katakomben grinste eine hässliche Steinfratze mit weit aufgerissenem Maul aus der Mauer.
    »Das wurde damals als eine Art Lügendetektor benutzt«, erklärte Frau Dr. Bart-Keferlein. »Die Beschuldigten mussten ihre Hand in den Mund stecken.« Sie schob ihre Hand zwischen die steinernen Lippen des Ungeheuers. »Wenn sie die Wahrheit sagten, konnten sie die Hand wieder unversehrt zurückziehen.« Sie ließ die Hand im Maul. »Aber wenn man log, dann wurde die Hand abgebis. . .« Sie zuckte zusammen, verzog schmerzhaft das Gesicht. Wir lachten, obwohl es ein zu erwartender Witz war, aber Frau Dr. Bart-Keferlein machte selten Witze, wir lachten also aus einer Art Höflichkeit und Anerkennung für ihre Bemühungen, einmal lustig zu sein.
    »Au! Verflucht! Au!«, schrie sie auf und zog ihre Hand zurück. Da sahen wir ihn: den Skorpion auf ihrem Handrücken. Den Stachel tief ins Fleisch von Frau Dr. Bart-Keferlein versenkt. Der einheimische Führer eilte herbei und geleitete unsere blasse Lehrerin fürsorglich in das Verwaltungshäuschen mit dem abblätternden Verputz.
    »In Kirgisien sollen sie einen Geständnistrank aus Skorpionen brauen …«, hörte ich Levke Sandra zuraunen, die daraufhin kicherte, und es kränkte mich, dass Levke gar keinen Versuch unternahm, das Schweigen zwischen uns zu brechen.
    Die beleuchteten Bars und Restaurants mit den lachenden Menschen, den Pärchen, den geschäftigen Kellnern ziehen hinter den Fensterscheiben vorbei wie ein Film, in dem ich gern mitspielen würde. Aber ich bin ausgeschlossen. Ich sitze in diesem Taxi, das mich aus der Stadt, dem Leben, hinausfährt in die unterirdischen Städte der Toten.
    Der Weg in den Abgrund, dachte ich, als wir das steinerne Portal zur dunklen Vergangenheit der Christen durchschritten. Mit jedem Schritt, mit dem wir die engen, ausgetretenen Stufen in die Tiefe hinunterstiegen, wurde die Luft dicker und feuchter, legte sich wie ein nasses Tuch über die Lungen, machte das Atmen schwerer. Und mit jedem Schritt wuchs mein Widerstand weiterzugehen.
    »Hier sind auf fünf Ebenen und einer Länge von zwanzig Kilometern schätzungsweise fünfhunderttausend Christen beigesetzt worden. Darunter sechzehn Päpste«, erklärte unser Führer und für einen kurzen Moment waren wir alle still.
    »Man soll eine unbekannte Bakterienart in einer der Katakomben entdeckt haben!«, hörte ich jemanden hinter mir flüstern.
    Levke lachte, es war bestimmt ihr Lachen. So lachte nur sie, mit diesem Triller, als sei sie ein Vogel. Ein großer bunter Vogel.
    Mir fielen die Archäologen ein, die die Grabkammer des Tutanchamun geöffnet hatten und dem »Fluch des Pharao« zum Opfer gefallen waren. Man nahm an, dass eine tödliche Bakterienart dort überdauert hatte. Und wenn das hier auch der Fall sein sollte?, dachte ich und ging mit einem mulmigen Gefühl im Bauch den anderen im Gänsemarsch hinterher.
    Die Augen brauchten eine Weile, um sich vom hellen Frühlingstag an das dämmrige
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