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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Autoren: Christine Lehmann
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Was macht der denn da?«
    »Das ist eine die . Das ist die, die die Lottozahlen beeinflussen kann. Ihr Bild war in der Zeitung. Lisa Nerz. In der Zeitung haben sie gebracht, dass nur sie Katzenjacob stoppen kann.«
    Ich stand nur da, inzwischen ganz normal mit gesenktem Arm, starrte den Adler an und tat so, als würde ich mit meiner telekinetischen Kraft den sich unaufhaltsam senkenden Bundesadler stoppen. Dass keine Fluchtpanik ausbrach, sondern alle blieben, war sicherlich den Ministern zu verdanken, die gestern Vormittag mein Thermoskannen-Plopp-Kunststückchen erlebt hatten. Man starrte zu mir herauf. Die Leute auf den Tribünen starrten zu mir herüber. Immer wieder drehte man sich nach dem Adler um. Es war so still, dass ich befürchtete, man werde die Seilwinde hören.
    So musste ich stehen bleiben, bis der Adler stillstand.
    Und draußen, jenseits des Paul-Löbe-Hauses am Spreeufer, nahm das Verhängnis seinen Lauf. Wenn alles so lief, wie Finley es geplant hatte, dann hatte Juri seine Maske fallen lassen und stand umringt von entsetzten Zuschauern als Satan mit hypnotisierendem Blick inmitten eines Kreises kleiner blauer Flammen, die allmählich größer wurden und ihn schließlich in schwarzen Rauch hüllen würden. Wenn der verzogen war, stand hier der Adler still, und Juri würde nicht mehr da sein.
    Da hatte ich urplötzlich einen Flash.
    Mein Gott, bitte nicht! Darum hatte Richard sich keine Zigaretten mehr gekauft. Er würde sie nicht mehr brauchen, denn er würde mit Juri Katzenjacob sterben! Sein Kuss vorhin zum Abschied, seine grimmige Zerstreutheit bei der Kabinettssitzung, seine gierige Versöhnung mit mir heute Nacht, sein Unwille, sich auf dem Flug nach Berlin mit meinem Verdacht gegen Derya auseinanderzusetzen – es hatte viele kleine Zeichen gegeben.
    Wie hatte ich annehmen können, er hätte nicht ebenfalls durchschaut, dass Juris Schilderung vom Auftritt Groschenkamps auf Burg Kalteneck nicht stimmen konnte? Vielleicht war es ihm schon klar gewesen, als die Bundesanwaltschaft reichlich vorschnell ihre Pressekonferenz abhielt und Groschenkamp beschuldigte. Doch da war es noch darum gegangen, Katzenjacob aus der U -Haft freizubekommen, damit man ihn öffentlich verschwinden lassen konnte. Es war unabdingbar gewesen, um die Geiselnehmer in Sambata de Sus zum Einlenken zu bewegen. Dazu sah er keine Alternative.
    Aber er hatte das Gutachten des Rechtsmediziners seinerzeit gelesen und im Gedächtnis, auf das er sich verlassen konnte. Hätte dort etwas von einem postmortalen Trauma am Bein Rosenfelds gestanden, das von einer Türkante herrühren mochte, so hätte er sich erinnert.
    Er hatte vor uns dieselben Schlüsse gezogen wie Finley, Derya und ich gestern Abend. Und nun würden wir – auch er, Richard, der Staatsanwalt aus Leidenschaft für Recht und Gerechtigkeit – einen Mörder dem Zugriff der Justiz entziehen und ihn der Anonymität einer neuen Identität überlassen, wo er vielleicht wieder morden würde, um seine nekrophilen Gelüste zu befriedigen. Und diesen einen Menschen, der womöglich noch sterben musste, bevor Juri Katzenjacob als ein anderer erneut verhaftet wurde, konnte Richard weder vor seinem Gewissen noch vor anderen verantworten. Wenn in einigen Jahren etwa bei einem Prozess gegen Katzenjacob die Wahrheit unseres Zaubertricks ans Licht kam, würde er als derjenige dastehen, der wissentlich einen Mörder dem Zugriff der Behörden entzogen hatte. Noch weniger aber konnte er es vor sich selbst rechtfertigen. Richard hasste das Töten wie kein anderer, den ich kannte. Er hasste Gewalt. Er litt mit den Hinterbliebenen. Er litt, wo andere litten. Er konnte einen Mörder nicht laufen lassen. Doch wie die Dinge lagen, konnte er ihn jetzt auch nicht wieder festnehmen und ins Gefängnis stecken lassen. Denn niemals konnte Deutschland einen Staatsbürger irgendwohin ausliefern, wo ihm der sichere Tod drohte.
    Und so hatte Richard beschlossen, selbst die Forderung zu erfüllen und die Affäre Katzenjacob zu beenden. Und weil er mit einem Mord, aus welchen ehrenwerten Gründen auch immer, nicht leben konnte, musste er gleichzeitig sein eigenes Leben beenden. Er würde sich opfern.
    Aber wie würde er es tun?
    Keine Ahnung.
    Ich hatte noch wenige Minuten! Der Adler hing schon erbärmlich schief. Bald würde er seinen Sinkflug stoppen. Und Juri verpuffte. Wie viel Zeit hatte ich? Ich schaute auf meine Uhr. Fünf Minuten! Das reichte nicht. Egal! Ich drehte mich um, stolperte über
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