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Totenruhe

Totenruhe

Titel: Totenruhe
Autoren: Hans Jörg Hennecke
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nährstoffreichen, humosen, kalkhaltigen, feuchten, aber wasserdurchlässigen Boden in Sonne und Halbschatten. Dankbar breitet sich die beliebte Blume weitflächig auf dem Friedhof aus, jedes Jahr von Zigtausenden Besuchern im zeitigen Frühjahr begeistert gefeiert. Sogar die Tageszeitungen brachten dann regelmäßig ein Farbfoto von der blauen Pracht. Doch in diesem Jahr machten andere Schlagzeilen Furore. Irgendjemand meinte Spuren von schwarzen Messen an der Kapelle des Friedhofs entdeckt zu haben. Und der unbekannte Tote könnte somit Opfer einer rituellen Zeremonie schwarzer Kapuzenmänner gewesen sein. Satanisten auf dem Bergfriedhof? Pastor Sauerbier sprang wie elektrisiert auf, als er die Meldung in der Zeitung las. Als Zeuge wurde ein 79-jähriger Rentner benannt, der regelmäßige Spaziergänge auf dem Friedhof unternahm.
    Sauerbier ließ seine Verbindungen über den Kriminalpsychologischen Dienst der Polizei spielen. Schwarze Messen seien sein Ressort, erklärte er aus fester Überzeugung. Die zuständige Beamtin nannte ihm den Namen des Rentners dennoch nur widerwillig, weil sie die Zeugenaussage im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen für wertlos hielt. »Nur geeignet für schlagzeilengeile Reporter. Aber wie Sie wollen. Der Mann heißt Rudolf Hirsch und wohnt in der Dieckbornstraße 78.« Zeuge ist Zeuge, dachte Sauerbier und machte sich auf den Weg. Er traf den Rentner in seiner Wohnung an. Der trug einen altmodischen Morgenmantel in Dunkelbraun, zerschlissene Pantoffeln und hatte den Gang ins Badezimmer wohl noch vor sich, ungekämmt wie die wenigen Haare waren, die er noch besaß.
    »Sind Sie Herr Hirsch?« »Sieht man das nicht?«, blaffte der Mann, der kein Geweih trug, dafür aber eine schwere Hornbrille. Er zeigte vorwurfsvoll auf das Türschild mit seinem Namen.
    »Ich bin Pastor Sauerbier«, stellte sich der Besucher vor, was den Rentner Hirsch veranlasste, blitzschnell die Tür zuzuschlagen. »Die Zeugen Jehovas können mir gestohlen bleiben«, raunzte er durch die geschlossene Pforte. »Mir auch«, bekannte Sauerbier und bestärkte seine Aussage durch lang anhaltendes Klingeln. »Ich will etwas über schwarze Messen hören. So machen Sie doch auf.« »Sind Sie von der Zeitung?« »Ja«, log Sauerbier. Da ihm ein entsprechendes Gottesgebot einfiel, relativierte er. »Ich komme wegen der Zeitung.« Der Rentner öffnete die Tür, schaute misstrauisch, ob sich hinter Sauerbier nicht doch Prediger der Sekte verbargen. »Ich bekomme noch Honorar, das ist mir versprochen worden.« »Na klar«, bestätigte Sauerbier großzügig und durfte eintreten. Hirsch wies ihm einen Stuhl am Küchentisch zu. Eine leere Kaffeetasse und ein Stapel Zeitungen waren die einzige Tischdekoration. Die Luft war verbraucht und Sauerbier hoffte, dass ihm sein Gastgeber keinen Kaffee anbot. Der dachte nicht daran und schaute durch lupenstarke Brillengläser fordernd auf den Besucher.
    «Wie sind Sie darauf gekommen, dass auf dem Friedhof schwarze Messen abgehalten werden?«
    Der Rentner verzog das Gesicht und schaute in die Kaffeetasse.
    »Habe ich doch gesagt.«
    »Dann sagen Sie es noch einmal.«
    Hirsch schob die Tasse im Kreis.
    »Da war ein Kreuz.« »Wo?« »An der Kapelle.« »Ist es nicht mehr da?« »Weiß ich doch nicht.«
    »Das ist ein Friedhof im christlichen Kulturkreis, da sind überall Kreuze. Nicht nur an der Kapelle«, belehrte Sauerbier.
    »Aber nicht so eins«, beharrte Hirsch bockig.
    »Was denn für eins?« Sauerbier wurde ungeduldig.
    »Na, eben andersrum. Es stand auf dem Kopf.«
    »Und das ist ein Zeichen für schwarze Messen?«
    »Das hat der Kerl von der Zeitung gesagt. Was ist nun mit meinem Honorar?« Das wusste Sauerbier auch nicht. Aber dass kopfstehende Kreuze Zeichen der Satanisten sein konnten, war ihm schon geläufig. Andererseits sah das Petruskreuz genau so aus und wurde von einigen christlichen Kirchen verwendet. Es basierte auf der Legende, dass sich der zum Tode verurteilte Petrus in Rom so habe kreuzigen lassen, aus Respekt vor der Todesart des Heilands Jesus Christus. Aber diese Erklärung konnte im aktuellen Fall wohl vernachlässigt werden.
    Rudolf Hirsch sah die Welt durch außergewöhnlich dicke Brillengläser. Er war offensichtlich blind wie ein Maulwurf. Konnte der überhaupt ein Kreuz erkennen? Der Pastor verließ die Wohnung des Rentners und machte sich unverzüglich auf den Weg zum Friedhof. Es war später Vormittag und er sah auf dem ganzen Areal nur drei
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