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Totenruhe

Totenruhe

Titel: Totenruhe
Autoren: Hans Jörg Hennecke
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einer guten halben Stunde, dachte der Pastor und machte sich auf den Weg. Über den Küchengarten erreichte er den Lindener Markt. Der Weg führte an jenem Grund vorbei, wo bis vor Jahren die Lindener Brauerei ihr Domizil hatte. Sie war restlos verschwunden, aber Bier gab es schließlich immer noch, tröstete sich Sauerbier. Wo früher kupferne Braukessel standen, duckten sich inzwischen Eigenheime unter der Wucht des verfallenden Ihmezentrums nebenan.
    Jenseits des Marktes fühlte sich Sauerbier gänzlich in der Fremde. Aber das ist immer noch Linden, wenn auch Linden-Süd, redete er sich ein.
    Zumal ihm die noch spärlichen Sonnenstrahlen genau aus jener Richtung erreichten. Kam der Frühling aus Linden-Süd ins Land? Man sollte keine Vorurteile pflegen, entschied er kategorisch. Aber wie sollte er sich den zechenden Männern annähern, bei denen sich zuweilen auch eine verblühte Frau aufhielt? Wie sprach man diese Leute an? Hallo allerseits? Guten Tag im Namen des Herrn? Quatsch, einfach in die Nähe setzen und die Leute kommen lassen. Die waren alles Mögliche, aber nicht kontaktscheu. Mit etwas flauem Gefühl im Magen verlangsamte Sauerbier die letzten Schritte in der Posthornstraße. Kaum hatte er den Platz im Eingangsbereich des Parks erreicht, sah er drei Männer, alle mit einer Bierflasche in der Hand. Sie saßen gleich auf der ersten Bank am schmiedeeisernen Gitter, das ein Nachbargrundstück mit Villa hermetisch abriegelte. Einer der Männer schaute direkt in seine Richtung und seine Miene hellte sich auf.
    »Wenn das nicht Hochwürden Sauerbier ist, der Hüter der Himmelsleiter im Lindener Norden. Kennen Sie mich noch, Herr Pastor? Wir haben hier einen Platz für Sie freigehalten, seien Sie so nett.«
    Sauerbier, obwohl evangelisch, wurde in bestimmten Kreisen gern als »Hochwürden« tituliert, was allgemeines Grinsen zur Folge hatte.
    Der Pastor schaute in das rotglänzende Gesicht des Mannes, das längst eine Rasur vertragen hätte. Immerhin trug er einen Anzug, nicht der letzte Schrei, eher einen, wie ihn die Kleiderkammern der Sozialdienste an Bedürftige verteilten. Der Mann schien ihm gänzlich unbekannt, aber als Pastor verfügte Sauerbier natürlich über einen gewissen Bekanntheitsgrad.
    »Guten Tag, die Herren. Wenn Sie mich so freundlich bitten.« Die Männer rutschten artig beiseite.
    »Nun, Herr Pastor, was gibt es Neues zwischen Himmel und Erde? Ich erinnere mich gern an unsere Osterfeuer, immerhin war ich der erste Heizer am Platz.« Der Rotgesichtige sonnte sich in selbstverliehenem Ansehen: ›Ich kenne Herrn Pastor persönlich, schaut mal her.‹
    Sauerbier setzte sich und es entstand ein unsicheres Schweigen. Entschlossen holte er sein Atavar aus der Brieftasche und gab es dem Osterfeuer-Bekannten. »Kennen Sie den Mann?«
    Begierig drängten die Männer zum Bild. »Der war in der Zeitung, stimmt’s?« Einer mit knallgrünem Schal schaute Sauerbier frohlockend an. »Stimmt«, bestätigte der. »Und, kennt den einer von Ihnen?« Der mit dem Schal grinste verschmitzt. »Na klar kenne ich den.« Seine Kumpane schauten erstaunt.
    Der Schalträger reagierte zufrieden. »Das kostet aber eine Lage, Herr Pastor.« Sauerbier nickte. »Daran soll es nicht scheitern. Was trinken die Herren?« Der Wortführer deutete auf den gegenüberliegenden Kiosk und meinte: »Da gibt es Bier und eine kleine Dröhnung dazu. Das ist die Sache doch wert, oder?« Seine Freunde nickten eifrig und der Pastor machte sich auf den kurzen Weg über die Posthornstraße. Nach wenigen Minuten zeigte er den wartenden strahlenden Gesichtern je eine Flasche Bier und eine Miniflasche Korn, der Kiosker hatte ihn präzise beraten. Doch ehe er die Wohltaten verteilte, fragte er fordernd: »Nun, wie heißt er?«
    Der mit dem grünen Schal antwortete ohne zu zögern: »Ernst Korte. Ich kannte den mal. Ist aber lange her. Mehr weiß ich auch nicht über ihn. Nun ist er ja auch tot, was soll es also.« Sauerbier verteilte die Alkoholika und schrieb auf die Rückseite seines Atavars »Ernst Korte«. »Letzte Adresse, Alter, Beruf?« Die Männer schüttelten den Kopf und kümmerten sich um ihre frischen Getränke.
    Der Name ist schon eine ganze Menge, dachte Sauerbier. Über den Namen wird man auch alles Übrige herausbekommen können. Er bedankte sich, wünschte einen schönen Tag und machte sich eilig auf den Rückweg in den doch behaglicheren Lindener Norden. Die Sonne hatte ihre Aktivitäten für diesen Tag inzwischen
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