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Totenruhe

Totenruhe

Titel: Totenruhe
Autoren: Hans Jörg Hennecke
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Verwandtschaft konnten von Mal zu Mal weniger heimlich an einer ganz bestimmten Stelle des Bergfriedhofs Blumen niederlegen, und der heimische Bildhauer Wolfgang Supper arbeitete bereits an einem gediegenen Grabstein. Doch den wollte Lindemann erst an seinen Standort bringen, wenn er den Urlaubsplan der Kontaktbeamten kannte. Sicher ist sicher, dachte er, und umsonst ist nicht einmal der Tod.
     
    Lindemann fühlte sich unwohl. Vielleicht war er krank, möglicherweise hatte die Psyche seinen Körper vergiftet und der reagierte nun mit Ausfallerscheinungen?
    Bisher hatte niemand von seinem Albtraum erfahren, aber Verschweigen war nun auch keine Lösung mehr. Als der Pastor gegen Abend bei ihm auftauchte, erzählte er seinen Traum in allen Details.
    Ehrliche Empörung schlug Sauerbier markante Falten ins Gesicht. In seinem abgetragenen schwarzen Anzug wirkte der pensionierte Pastor wie ein unheimlicher Bote des Himmels, der schwer an der Aufgabe trug, das nahende Jüngste Gericht anzukündigen. Lindemann wusste, dass es um seine abendlichen Mußestunden geschehen war und nur einige Flaschen Bier das Schlimmste verhüten konnten.
    »Anmaßende Unverschämtheit. Der einzige Friedhof in Linden, unser wunderbarer Bergfriedhof ist stillgelegt, weil Massenbeisetzungen auf Großfriedhöfen billiger sind. Warum nicht gleich Massengräber? Die sind noch billiger. Hat diese Friedhofsverwaltung keine Achtung mehr vor dem letzten Weg des Menschen, vor dem direkten Übergang zu Gott? Muss dieser Weg mit Euro und Cent ausgemessen werden? Vielleicht sollte man ihn gar an der Börse handeln?«
    Sauerbier nahm mit entschlossenem Griff das dargebotene Bier und seine Mimik entspannte sich zusehends. Er studierte das Etikett, als sähe er es zum ersten Mal.
    »Herri, das reine Wort Gottes«, hieß sein knappes Credo und dann genoss er es aus der braunen Pfandflasche der Herrenhäuser Brauerei, ohne das dazu gehörende Bierglas zu beachten.
    Die Männer tranken schweigend und Lindemann wusste, dass die Sache damit nicht erledigt war. Immerhin lag der Friedhof zentral auf dem Lindener Berg, der mit seinen 89 Metern über Normal Null das Filetstück der Stadt war, ein beliebtes Freizeitgelände für die ganze Gegend.
    »Was tun wir gegen die Anmaßung?«
    »Eine Kampagne muss her. Nur so bekommen Sie Ihre Träume in den Griff. Wir brauchen eine Vielzahl von Protesten. Wir müssen kämpfen, müssen den Gegner lächerlich machen, ganz Linden muss wie ein Mann hinter der Sache stehen.«
    »Und die Frauen?«, grinste Lindemann fragend.
    »Die natürlich auch.«
    »Die Frauen – wie ein Mann?«
    »Ja, oder so ähnlich.«
    »Man könnte mit einer kleinen Geschichte beginnen, einer Art Anstiftung zu massenhaftem Zuwiderhandeln. Der Lindenkurier würde sie wohl bringen. Ihre Geschichte, lieber Lindemann. Ihr Traum ist wunderbar.«
    »Meine Geschichte, mein Traum? Sie sind von Sinnen.«
    »Ihre Geschichte ist Gold wert, Lindemann. Und sie stimmt. Ich habe Ihren Herrn Vater mehrfach im Seniorenzentrum Ihmestrand befragt: Er besteht auf dem Bergfriedhof. Also bringen wir sie in den Lindenkurier .«
    »Sie sind der unverschämteste Gottesmann, den die Kirche je auf ihre Gläubigen losgelassen hat. Das kommt natürlich nicht in den Lindenkurier . Sie sind ein Weltmeister in Pietätlosigkeit. Mein Vater lebt schließlich noch, Sie haben ihn doch gerade selbst getroffen.«
    Sebastian Sauerbier wog bedenklich das Haupt. »Ja, er lebt, aber er trinkt kaum noch Bier. Ein ganz schlechtes Zeichen. Dennoch ist er längst nicht 90. Das ist eine Zukunftsgeschichte, ich glaube, man nennt es science fiction.«
    »Quatsch. Der Alte hat seine Lebensleistung in Sachen Bier mehr als erfüllt. Irgendwann ist das Fass voll. Und überhaupt, ich bin Beamter. Wollen Sie mich um meine Pension bringen?«
    Der pensionierte Prediger wog sein Haupt mit einer Leidensmiene. Er suchte nach einem Kompromiss, der nicht hälftig konträre Interessen abgrenzte, sondern seinen Teil des Kuchens möglichst groß beließ.
    »Man könnte statt Ihres Namens das Kürzel L. verwenden. Jedenfalls dürfen Sie sich der Sache nicht ganz entziehen, denn Ihr Vater will den Bergfriedhof als Bestattungsort. Die Geschichte könnte Auftakt eines beispiellosen Aufbäumens unserer Bevölkerung gegen eine gewissenlose Verwaltung sein. Sie ist immerhin freundlich und bringt alle Sympathien sofort auf unsere Seite. Bedenken Sie das.«
    Lindemann wusste nicht, ob er wütend sein oder das alles einfach nur zum
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