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Totenruhe

Totenruhe

Titel: Totenruhe
Autoren: Hans Jörg Hennecke
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eingestellt.
     

4.
     
    Pastor Sauerbier hatte im Rahmen einer Instruktion des Kriminalpsychologischen Beraterkreises eine statistische Ziffer erfahren. Er konfrontierte seinen Freund Lindemann mit dem Fakt.
    »80 000 Menschen sitzen in Deutschland im Knast. Das ist ungefähr einer von tausend. Linden hat 40 000 Einwohner. Statistisch befinden sich also 40 Lindener hinter schwedischen Gardinen. Können Sie sich das vorstellen?«
    Lindemann ging im Kopf seinen weitesten Bekanntenkreis durch und wurde nicht fündig. »Persönlich kenne ich keinen. Aber wenn ich die Zeitung lese, wundere ich mich, dass es nur 40 sind.«
    »Das liegt an zuweilen schlampiger Polizeiarbeit, sage ich Ihnen.« Sauerbier war grimmig. »Wenn die Menschen glaubensstärker wären, bräuchten wir keine Polizei.«
    Lindemann grinste verständnisvoll. »Sind Ihre Dienste bei der Polizei mal wieder nicht gefragt?«
    Der Pastor explodierte förmlich. »Die Polizei kann den Toten vom Bergfriedhof nicht identifizieren. Schön und gut. Aber ich kann das nach meinen persönlichen Recherchen, ganz ohne polizeiliche Unterstützung. Und wissen Sie, was die mir sagen?« Sauerbier machte eine Kunstpause und schaute Lindemann lüstern an. Der zuckte mit den Achseln.
    »Die sagen, hier gehe es nicht um eine Straftat und ich solle mich aus der Sache heraushalten. Ich! Ich soll mich heraushalten! Hat man so etwas schon gehört? Ich liefere den Namen frei Haus, aber ich soll mich heraushalten. Was sagen Sie nun?«
    Lindemann sagte gar nichts, weil ihm nichts Sachdienliches einfiel.
    »Der Mann hieß übrigens Ernst Korte.« Lindemann stutzte. »Wie hieß der Mann?« »Ernst Korte, was ist daran so ungewöhnlich?« Lindemann sah vor sich einen riesigen Fettnapf und den Pastor knietief mittendrin. »Und wo haben Sie das rausgekriegt?«
    »Auf der Bank am Eingang des Von-Alten-Parks. Um genau zu sein: Es war gleich die erste Bank, wenn Sie von der Posthornstraße nach Süden gehen.«
    Lindemann atmete schwer, als habe er einen Zentnersack zu tragen. »Mein Gott, Herr Pastor, haben Sie die Villa direkt daneben nicht gesehen?« »Natürlich habe ich die gesehen, ich bin ja nicht blind. Aber was hat die Villa mit dem Fall zu tun?«
    Lindemann schüttelte verzweifelt den Kopf. »So ziemlich alles. Sie haben leider keine Ahnung vom Lindener Süden. Die Burschen haben Sie reingelegt. Vermutlich haben Sie ihnen dafür sogar eine Lage Bier geschmissen.« »Na und? Spesen fallen immer an.« »Ja, außer Spesen nichts gewesen. Die Villa gehörte Ernst Korte, einem früheren Direktor der Maschinenfabrik Hanomag. Ernst Korte, verstehen Sie? Der hat seine Villa der Stadt vererbt mit der Auflage, darin Seniorenarbeit zu leisten. Das tut inzwischen die Arbeiterwohlfahrt im Auftrage der Stadt und nennt die Einrichtung ›Ernst-Korte-Haus‹. Das steht da auch ziemlich deutlich am Gebäude.«
    Der Pastor kniff die Augenbrauen zusammen und suchte zu retten, was nicht mehr zu retten war. »Ja, aber wenn doch …« »Nichts wenn und aber. Sie sind launigen Spesenrittern aus der Unterschicht zum Opfer gefallen. Ich fürchte, die haben sich über Sie fast totgelacht.«
    Der Pastor fiel im Zeitlupentempo in sich zusammen. »Haben Sie ein Bier und einen Wodka zur Hand?« Lindemann hatte.
    »Das heißt übrigens nicht mehr Unterschicht. Prekariat klingt weniger diskriminierend, weil es kaum jemand übersetzen kann. Denen werde ich die Leviten lesen, wer im Keller wohnt, sollte sich nicht zu weit aus dem Fenster hängen. So – und jetzt müssen wir eine Mail an meine Polizei-Leitkuh schicken, von wegen Korte,« konstatierte der Pastor. »Wir?« »Nun ja, stellen Sie sich doch nicht so an.« »Bitte, da steht der PC, bedienen Sie sich.« Sauerbier bewegte sich wie in Zeitlupe. Das Klingeln seines Mobil-Telefons erlöste ihn nicht von dem Übel. Es war die Kommissarin.
    »Ja«, stotterte Sauerbier, »Irrtum unterlaufen. Nicht Korte. Fehler. Entschuldigung. Ich denke, ich kann in der Sache nichts mehr tun. Na gut, umso besser. Tschüß.«
    »Na«, wollte Lindemann trösten, »ist die Sache erledigt?« »Ich glaube, ich bin fürs Erste erledigt. Lassen Sie uns einen Spaziergang machen. Mir ist nach Scilla. Die ersten Blüten müssten auf dem Friedhof zu sehen sein.«
     

5.
     
    Die Scilla ist ein sibirischer Blaustern und gehört zu den Hyazinthengewächsen und ist ein häufig anzutreffender Frühblüher in Parks und Gärten. Der Bergfriedhof hat für die Scilla den idealen
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