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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel
Autoren: C Fischer
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gefüllten Pappbecher aus, ohne ihn einmal abzusetzen. »Das ist unbefugtes Betreten«, bemerkte sie.
    »Nein, ich würde es nur als Anklopfen bezeichnen«, sagte Van Leeuwen. »Etwas heftiges Anklopfen vielleicht.«
    »Und es wird auch keine Hausdurchsuchung?«
    »Nein.«
    »Also gut … ja«, antwortete sie schließlich, die Lippen noch glänzend vom Wein. »Ich glaube, ich habe ihn noch geliebt, aber das war zu einer anderen Zeit. Ich war anders damals. Es ist so lange her.«
    »Und nach deinem Mann? Gab es da noch jemand, einen nächsten?«
    »Nein, nicht so, wie du es meinst. Wir reden doch gerade über Liebe, oder irre ich mich?«
    »Ich weiß nicht«, entgegnete Van Leeuwen. »Glaubst du nicht mehr daran?«
    »Doch, wenn ich an irgendetwas glaube, dann daran«, sagte sie ernsthaft. »Aber ich habe sie so lange nicht mehr gespürt, dass ich nicht weiß, ob ich noch dazu fähig wäre. Und du – nach deiner Frau? Ich weiß, dass du seitdem niemanden …« Sie hielt einen Moment inne. »Würdest du es überhaupt merken, wenn du jemandem begegnest, den du lieben könnest?«
    »Keine Ahnung, vielleicht nicht«, gab er zu.
    Feline nickte. »Ich weiß nur eins – man darf nicht zu zaghaft sein oder davor zurückschrecken, denn oft ist es nur ein Moment – ein Augenblick, in dem sich alles entscheidet, und was immer daraus werden könnte, wartet nicht, und es kommt auch nicht regelmäßig wieder wie eine Straßenbahn.«
    Vielleicht lag es am Wein, überlegte Van Leeuwen, vielleicht auch an der Sonne und dem Wind, aber vor allem an dem Wein.
    »Ich habe viel über dich nachgedacht«, bekannte Feline, »privat, nicht beruflich. Ich habe über deine Gesichter nachgedacht und über die Worte, die zu diesen Gesichtern gehören. Es gibt das zornige Gesicht und das traurige, und dann gibt es eins, das verschlossen ist, abweisend, und jedes spricht eine andere Sprache. Meistens sind es die Augen; wenn sie einen ansehen, dann weiß man, mit wem man es gerade zu tun hat. Es gibt einige sehr interessante Menschen in dir, Commissaris Bruno van Leeuwen.«
    »Interessant für wen?«
    »Interessant für Frauen. Für mich. Es gibt den einen Bruno van Leeuwen, und der verhält sich auf eine Weise, die mich berührt, aber dann ist dieser Mensch plötzlich weg – dienstlich unterwegs, nehme ich an –, und ein anderer tritt an seine Stelle, der etwas anderes sagt und tut, aber auch das lässt mich nicht gleichgültig. Es gibt vermutlich noch mehr, und offenbar bin ich für einige davon sehr empfänglich.« Sie sah ihn über den Rand ihres Bechers hinweg an, mit leicht geöffneten Lippen, wie überrascht von ihrer eigenen Kühnheit. »Ich habe mir sogar überlegt, ob es so weit gehen könnte, dass ich mit einem davon mehr Zeit verbringen könnte.«
    »Privat, nicht beruflich«, sagte Van Leeuwen.
    Sie nickte.
    »Wie viel Zeit?«
    »Mein ganzes Leben.«
    »So viel ist davon ja nicht mehr übrig«, bemerkte er brummig. »Bei mir übrigens auch nicht. Bei keinem von mir.«
    Sie füllte ihren Becher nach, trank wieder, einen Schluck und noch einen, aber ihre Augen blieben klar. »Es hat den Anschein, als könnte keiner dieser Brunos besonders viel Nähe ertragen, und deshalb schiebt er einen Wachwechsel vor und verzieht sich bis zum nächsten Mal. Aber man weiß nicht, ob er wirklich wiederkommt. Kannst du dir vorstellen, dass einer von ihnen mal für länger bleibt – bei mir, meine ich?«
    »Vorstellen …«, sagte er. »Ich habe schon so viel erlebt, das ich mir nicht vorstellen konnte. Du bist eine sehr schöne Frau, geschieden, und man hat mich zu dir geschickt, damit du mich begutachtest. Ich musste dir etwas von mir erzählen, damit ich weiterarbeiten konnte.«
    »Ich nehme an, das heißt nein«, meinte sie, ohne in Verlegenheit zu geraten. Sie neigte sich ihm ein wenig zu, den Becher immer noch in der Hand. »Aber du magst mich? Du wärst vor ein paar Tagen beinahe umgebracht worden. Willst du dich nicht lebendig fühlen?«
    »Ich fühle mich sehr lebendig«, erklärte Van Leeuwen.
    »Ich fühle mich gerade auch sehr lebendig und als Frau«, bekannte sie. Sie neigte sich ihm noch weiter zu, und plötzlich stellte er fest, dass der Abstand zwischen ihnen kein Abstand mehr war. »Ich möchte gern, dass einer von den vielen Brunos mich in den Arm nimmt«, sagte sie. »Meinst du, dazu wärst du in der Lage?«
    »Einer von uns bestimmt«, antwortete er, »wir müssen ihn nur erst finden.«
    »Such nicht zu lange, denn eigentlich ist
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