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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel
Autoren: C Fischer
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ihre Halsbeuge und dahinter das angelehnte Fenster, vor dem sich der Vorhang bauschte wie ein Segel. Später zwang er sich, nichts mehr zu sehen, indem er sein Gesicht gegen ihren Hals presste. Er wollte alles ausschließen, das Zimmer, die Gegenwart und die Vergangenheit und alle Gedanken. Er wollte, dass sie ihn schweigend liebte und mit jedem Kuss, jeder Zärtlichkeit das Dunkel um ihn veränderte, als wären es Pinselstriche, die auf einer alten Leinwand ein neues Bild schufen.
    Nur das Geräusch des Regens sollte es geben.
    Danach lagen sie nebeneinander, Auge in Auge und immer noch so dicht beieinander, dass sie sich nicht sehen konnten. Felines Kopf ruhte in Van Leeuwens Armbeuge, ihre Brüste berührten seine Brust, ihre Oberschenkel kreuzten sich. Ihre Haut schien der Erregung müde geworden zu sein, und der Commissaris hätte nicht sagen können, wo seine aufhörte und ihre begann. Wie wenig gehört einem Menschen doch sein Körper, dachte er. Feline tupfte zarte Küsse auf sein Gesicht, seinen Hals, und sie hätte völlig gefühllos sein müssen, wäre ihr verborgen geblieben, welche Trauer er in diesem Moment empfand.

42
    »Tarik Nasiz? Erinnerst du dich an mich?«
    »Was wollen Sie?«
    Der Junge, der Tarik Aziz hieß, stand neben einem Kinderwagen in der halb geöffneten Wohnungstür, und hinter ihm stand ein kleines Mädchen in einem geblümten Kleid. Das Mädchen hatte lockiges, dunkles Haar, das zu Zöpfen geflochten war. Es hielt sich mit einer Hand an Tariks Bein fest und schaute neugierig zu Van Leeuwen auf, und was es an Licht in dem engen Korridor gab, schien in ihren Augen zu liegen.
    »Darf ich reinkommen?«, fragte der Commissaris.
    Der Junge warf einen Blick über die Schulter zurück, über den Kopf des Mädchens, zum Ende des Korridors. Hinter ihm erklang arabische Musik, Töpfe schepperten. »Warum?«, fragte er.
    »Ich will mit dir reden.«
    »Worüber?«
    »Über die Sache in der Straßenbahn.«
    Der Junge legte dem Mädchen die Hände auf die schmalen Schultern, drehte es um und gab ihm einen sanften Schubs. »Geh zu Mama, Semira.« Dann sah er Van Leeuwen wieder an, mit gesenktem Kopf, von unten nach oben, und fuhr sich mit der Hand über das krause, kurz geschnittene Haar. »Sind Sie hier, um sich zu entschuldigen?«
    »Nein«, erwiderte Van Leeuwen.
    »Sie sind nicht hier, um sich zu entschuldigen?«
    »Nein.« Van Leeuwen wunderte sich, wie ruhig er war, wie gelassen. »Aber ich bin hier, um dir zu sagen, dass es nicht in Ordnung war, wie ich mich verhalten habe. Es tut mir leid.«
    »Und das ist keine Entschuldigung?«
    »Nein, ist es nicht.«
    »Ist gut, Mann.« Der Junge warf wieder einen Blick über die Schulter zurück, dann machte er Anstalten, die Tür zu schließen.
    Van Leeuwen fragte: »Ist Semira deine Schwester?«
    Tarik nickte.
    »Wie würdest du es finden, wenn jemand sie ohrfeigt, in ein paar Jahren, nachts in einer Straßenbahn?« Van Leeuwens Handy klingelte. Er sagte zu Tarik »Entschuldigung« und wandte sich ab, bevor er sich meldete. Zuerst hörte er nichts, keine Stimme, nur ein Rascheln in der Leitung. »Hallo?« Er winkte Tarik kurz mit der verbundenen Hand, dann stapfte er die Stufen im Treppenhaus hinunter, vorbei an tausendundeinem arabischen Graffito an den schmutzigen Wänden. »Hallo, wer ist denn da?« Er trat aus dem Haus, auf den kleinen Platz vor der Moschee von Slootervaart, und jetzt erkannte er die Stimme des Anrufers. »Mijnheer Wu?«
    »Wu bedauert neue Unannehmlichkeiten«, sagte der Chinese.
    »Was für neue Unannehmlichkeiten?«, fragte der Commissaris und hatte plötzlich das Gefühl, als drückte eine Faust sein Herz zusammen. »Wo sind Sie, Mijnheer Wu?«
    »In Wohnung«, sagte der Chinese.
    »Ist Ihre Frau auch da?« Van Leeuwen begann zu laufen, ohne es zu merken. »Ist Ailing da? Kann ich sie sprechen?«
    »Leider nein«, erklärte der Chinese. »Sie nicht kann sprechen mit Ihnen.«
    »Warum nicht? Was ist mit ihr?«
    Zheng Wu gab einen seltsamen Laut von sich, der wie ein tiefes Knurren klang, bevor er sagte: »Jeder Blick in Gesicht von Ailing war großer Schmerz. Jedes Wort aus lieblichem Mund von Ailing war wie schwerer Eimer, der wird herabgelassen in Wus Brust und nimmt Licht aus Brunnen seines Herzens, bis nur noch Dunkelheit da ist.«
    »Das kenne ich«, erwiderte Van Leeuwen. Er rannte die Straße entlang, zur Ecke, denn er sah den Bus zum Zentrum, der langsam um die Ecke bog und auf die Haltestelle zusteuerte. Seine
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