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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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mal...“
    Sie entfernte den Vorhang aus Haaren aus ihrem Gesicht, drehte sich um und schritt eine Regalreihe ab. An einem von Hand beschrifteten Karton machte sie Halt, griff blind hinein und zog ein schwarzes Fläschchen ohne Etikett heraus.
    „Bestreicht damit eure Arme, aber immer erst eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit. Das lässt auch die Narben verschwinden. Keine Angst, Jungs, ihr werdet wieder so hübsch wie ehedem.“
    „Ehe...- was?“
    „Bevor euch dieses Monster verstümmelt hat.“
    „Wohl kaum.“
    „Glaubt mir, ich weiß es.“
    Der Hase hatte den Ärmel hochgezogen und begann damit, den durchnässten und blutverkrusteten Verband vom Unterarm abzuwickeln.
    „Das soll alles wieder weggehen?“
    Er streckte ihr den Arm entgegen und präsentierte ein Kraterfeld von offenen Wunden, Schorfen in allen Heilungsstadien und teils gut, teils schlecht zusammengewucherten Narben. Unverletzte, ursprüngliche Haut war kaum zu entdecken. Die Frau im weißen Kittel studierte die Verwundungen mitleidlos und mit unverhohlenem wissenschaftlichem Interesse.
    „Keine Entzündungen. Wieso nicht?“
    „Keine Ahnung. Vielleicht, weil er die Rasierklingen desinfiziert hat. Und dann Jod über die Wunden geschüttet.“
    „Beide Arme? Bei beiden?“
    „Und die Beine.“
    „Und wohl auch dein Mund? Warum hat er das gemacht?“
    „Strafe.“
    „Wofür?“
    „Für alles. Es gab nie was, das wir für ihn richtig gemacht haben.“
    „Und wie lange genau ging das?“
    „Wissen wir nicht mehr genau. Viele Jahre. Helfen Sie uns jetzt?“
    „Klar. Ich hab nur noch eine letzte Frage.“
    Der Hase begann damit, sich den verkrusteten Verband wieder um den Arm zu wickeln.
    „Warum habt ihr ihn nicht angezeigt? Oder seid abgehauen?“
    „Weil wir eingesperrt waren, einzeln und weit weg voneinander. Er kam immer nachts. Wir denken, er hat uns auch was ins Essen getan.“
    „Und wieso seid ihr jetzt frei?“
    „Als er krank wurde, hat er damit aufgehört. Und er hat uns nichts mehr zu essen gebracht. Irgendwann passte ich durch die Futterluke. Jetzt ist er unser Gefangener.“
    „Verstehe. Na dann, ihr habt einiges gut. Lasst ihn leiden.“
    Sie machte eine Rauswurf-Geste mit der linken Hand – die Königin entließ ihre Untertanen.
    „Moment, wir haben ja noch gar kein Mittel.“
    „Und was ist das da?“
    „Für unsere Wunden.“
    „Und für seinen Krebs. Träufelt ihm jeden Morgen fünf Tropfen ins linke Auge. Die beste Zeit dafür ist eine Stunde vor Sonnenaufgang. Es wirkt auch nach Sonnenaufgang, aber nicht so stark.“
    „Was, das selbe Mittel für unsere Wunden und seinen Krebs?“
    „Ganz genau. Vergesst übrigens nicht, ihn rechtzeitig zu fixieren.“
    „Fixieren, sie meinen fesseln? Wieso?“
    „Weil er ziemlich schnell seine Kräfte zurückbekommen wird. Vermutlich wird er doppelt oder dreimal so stark wie vorher. Viel Spaß beim fröhlichen Foltern.“
     
    „Ach, Frau Dr. Berkel, einen Moment bitte...“
    Amelie war eher ziellos durch die Burg geirrt, um das Gemäuer kennenzulernen.
    „Das Fräulein Amelie, richtig? Sie sind ja immer noch da.“
    „Ja, bin ich. Das passt Ihnen nicht, oder?“
    „Ach Gott, Schätzchen, Sie sind nicht wirklich ein Problem für mich. Ich sehe Ihnen doch außerdem an, dass Sie die langweiligen Geschichten und den Mief von klein Schrumpelmännchen mehr als satt haben und in Gedanken schon woanders angekommen sind.“
    „Heute hat mir Herr Bergenstroh was erzählt, das ganz und gar nicht langweilig war.“
    „Ach ja? Ich schätze, dann ging es um den angeblichen Schatz.“
    „Sie wissen davon?“
    „Na, was denn sonst? Warum bin ich wohl hier? Ich bin der Drache, der den Schatz bewacht.“
    Amelie, angespannt von dem Thema, ließ Luft ab. Sie schüttelte leicht den Kopf, schwieg und spürte, wie ihr Blick milde und mitleidig wurde. Da die Berkel nicht reagierte, fragte Amelie:
    „Warum müssen Sie immer so auftrumpfen? Können wir nicht normal miteinander sprechen?“
    „Unter normal verstehen Sie, dass ich Ihnen offen ins Gesicht sagen soll, dass ich Sie nicht leiden kann und hier weg haben will statt Sie auf dem Lokus einzusperren und wilde Sprüche von Gift und Drachen zu spucken?“
    „Sie haben mich also doch eingesperrt!“
    „Schätzchen, ich will Ihnen was sagen: Wenn ich Sie weg haben wollte, bräuchte ich nur mit dem Finger zu schnipsen. Sie sind für mich wie eine der vielen Fliegen, die hier durchs Gemäuer schwirren. Das können Sie
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