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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition)
Autoren: Manfred Köhler
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auf die Besucherstühle, während die Frau im weißen Kittel hinter ihren Schreibtisch ging, aber sich nicht setzte, sondern die Arme auf die Lehne ihres Bürosessels stützte und mit vorgebeugtem Kopf ihre üppige Frisur ausschüttelte.
    „Sie haben ganz schön viele Haare“, sagte der Hase. Es klang angewidert. Der Blick, der ihn traf, war durch die herabhängende Mähne kaum zu erkennen.
    „Woher kommt ihr zwei Burschen?“
    „Aus der Stadt.“
    „Welcher Stadtteil?“
    „Wargendorf.“
    „Dann ist euer Hausarzt Dr. Schieder. Habt ihr eine Überweisung?“
    „Nein. Es ist so, dass...“
    „Lass mich!“, befahl der Gnom. „Also, es ist so: Wir sind nicht krank.“
    „Hab ich mir schon gedacht.“
    „Aber unser Vormund.“
    „Was ist mit euren Eltern?“
    „Leben nicht mehr.“
    „Und euer Vormund ist...?“
    „Unser Onkel. Hubert Helfert.“
    „Ich meine, was er hat. Warum er nicht selbst hier ist.“
    „Er ist zu krank. Kehlkopfkrebs.“
    „In welchem Krankenhaus liegt er?“
    „Er war im Uni-Klinikum, aber die haben ihn entlassen.“
    „Nichts mehr zu machen, wie? Ist jetzt wohl im Hospiz in...“
    „Er will zuhause sterben.“
    „Weiß er, dass ihr hier seid?“
    „Nein, er ist heute Früh nicht aufgewacht. Aber er atmet noch.“
    „Und da habt ihr euch im Internet über meine besonderen Fähigkeiten schlau gemacht.“
    „Wir wollen einfach nicht, dass er stirbt.“
    „Ist ja süß. Wer kriegt euch denn, wenn er hinüber ist?“
    „Ich bin schon volljährig. Seit letzten März.“
    „Wer? Du?!“
    Sie schüttelte ihre Haare aus dem Gesicht und grinste den Gnom ungeniert an. „Du bist der Ältere?“
    „Ja. Na und?“
    „Bei mir ist es in vier Monaten so weit“, meldete sich der Hase zu Wort.
    „Dann soll ich ihn noch so lange am Leben erhalten, damit du nicht ins Heim musst? Tut doch einfach so als ob er noch lebt. Stopft ihn aus. Oder packt ihn in die Tiefkühltruhe.“
    „Das ist nicht das Problem. Wir wollen einfach nicht, dass er stirbt. Am besten überhaupt nicht.“
    „Ihr müsst euch ja alle ganz toll liebhaben, ihr drei Macker.“
    „Kann schon sein.“
    „Raus damit.“
    „Womit.“
    „Was ihr wirklich wollt.“
    „Haben wir doch gerade gesagt.“
    „Wir wollen einfach nicht...“
    „Ja, ja, ja. Spart euch den Scheiß. Abmarsch!“
    „Sie werfen uns raus?“
    „Na, was denn sonst?“
    „Sie sind vielleicht ne Ärztin!“
    „Und ihr kommt hierher und lügt mir die Hucke voll!“
    „Ist doch auch egal, warum wir das wollen.“
    „Nein, ist es nicht. Ich kann nur was machen, wenn ich alles weiß. Absolut alles. Jedes Detail fließt in die Rezeptur mit ein.“
    „Also gut.“
    Der Hase war schon aufgestanden. Der Gnom packte ihn am Handgelenk und zwang ihn, sich wieder zu setzen.
    „Wir wollen nicht, dass er stirbt, weil wir ihn hassen. Die Krebsdiagnose war für uns die tollste Nachricht seit Jahren. Der Krebs hat ihn schwach gemacht und von uns abgelenkt.“
    „Dann seid doch froh, wenn er ganz weg ist.“
    „Wir wollen ihn aber bestrafen. Er hat sowieso viel zu wenig gelitten, weil er die ganze Zeit Schmerzmittel bekam. Und es ging alles viel zu schnell, nur ein halbes Jahr seit er das erste Mal dauernd husten musste.“
    „Tja, vielleicht hat der liebe Herrgott ja beschlossen, ihn ganz schnell zu sich zu holen, weil er so ein guter Mensch war.“
    „Haben Sie nicht zugehört?“
    „Er war also ein echter Scheißkerl, hä? Raus damit, was hat er euch angetan?“
    Sie gab ihnen etwas Zeit, aber die beiden Burschen starrten sie nur finster an.
    „Ist euch zu peinlich, wie? Aber ihr könnt mir vertrauen, ich bin an die ärztliche Schweigepflicht gebunden.“
    „Sie sind gar keine richtige Ärztin. Wenn Sie eine wären, hätten wir uns den Weg nicht gemacht.“
    „Trotzdem müsst ihr mir sagen, was passiert ist. Ich kann die Strafe seinen Taten genau anpassen.“
    Der Hase machte Anstalten, seinen linken Pulloverärmel hochzuschieben. Der Gnom stoppte ihn rabiat mit einem Boxhieb gegen den Arm.
    „Was denn?“
    „Das glaubt sie uns sowieso nicht.“
    „Und wenn doch?“
    „Wir haben uns geschworen, das für uns zu behalten!“
    „Wieso eigentlich? Wir können nichts dafür. Und er soll endlich büßen.“
    „Ich weiß sowieso schon, was da drunter ist“, behauptete die Frau im weißen Kittel.
    „Das können Sie gar nicht wissen!“
    „Haltet ihr mich für blöd? Die Wunden nässen durch eure Ärmel. Außerdem sieht man die Verbände. Wartet
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