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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen
Autoren: Steve Mosby
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Dienst. Heute nicht.
    Trotzdem behielt er die Straße im Auge und griff dabei nach dem Handy, nur um zu sehen, wer anrief. Als er auf dem Display »James Swann« las, wünschte er gleich, er hätte das blöde Ding auf dem Sitz liegen lassen. Swann würde nur anrufen, wenn im Büro etwas los war, und Currie wusste, dass er den Anruf annehmen sollte. Was auch immer, es würde jedenfalls wichtig sein.
    In Gedanken sah er unwillkürlich Schnappschüsse von Kindergeburtstagen seines Sohnes vor sich. Neil mit einem spitzen Hut, der unter dem Kinn von einer Schnur gehalten wurde, beim Kerzenausblasen. Im Cowboykostüm, beim Spielen auf dem Rasen oder mit einer Zahnlücke auf seinem feuerroten Fahrrad sitzend.
    Auf den frühen Fotos lächelte sein Sohn immer, aber als er ins Teenager-Alter gekommen war, blickte er finsterer drein. Das Einzige, was in all den Jahren auf den Fotos immer gleich blieb, war Sam Curries Abwesenheit. Sein Dienst hatte immer an erster Stelle gestanden, und das war ein Fehler gewesen, aber man konnte die Vergangenheit nicht ändern, wie sehr man sich das auch wünschen mochte. Es gab nur diese. Neil wurde heute einundzwanzig, und Currie hatte sich freigenommen und würde mit seinem Jungen einen trinken.
    Das hatte sein Vater mit ihm getan, als er in diesem Alter war, und seit Linda vor so vielen Jahren unbeabsichtigt schwanger geworden war, hatte Currie mit absoluter Sicherheit sagen können, dass er sich auf diese eine Gelegenheit freute.
    Er schaltete das Mobiltelefon aus und legte es wieder auf den Beifahrersitz neben die Flasche Whisky.
    Dienst war Dienst. Aber ein Versprechen war ein Versprechen.
    Und doch … als Currie das Lenkrad leicht drehte und den Wagen langsam den Bellerby Grove hochlenkte, merkte er, dass er schon begann, die üblichen Kompromisse zu schließen. Im Grunde wusste er, dass er zurückrufen musste, aber er konnte es noch eine Weile aufschieben, zumindest würde er Zeit haben, Neil zu gratulieren und schnell ein Glas mit ihm zu trinken.
    Sein Sohn war alt genug, um das jetzt zu verstehen. Wahrscheinlich würde er es sogar erwarten.
    Warum hab ich das Ding nicht ausgeschaltet?
    Das Wetter war jedenfalls schön geworden, auch wenn ihm alles andere jetzt ein bisschen düsterer vorkam. Currie spähte durch die Windschutzscheibe nach oben. Vorher war es grau und bedeckt gewesen, aber jetzt, gegen Mittag, waren die Wolken verflogen, und der Himmel strahlte hell und klar. Ein herrlicher Tag. Die Sonne brannte herunter, verzerrte gelbe Quadrate huschten über Curries muskulöse Unterarme, während er fuhr. Die Häuser hier hatten große Vorgärten, und er hörte das Zischen der Sprenger, das Brummen der Rasentrimmer und atmete den Duft von gemähtem Gras ein, der durch das offene Fenster hereinzog. Es war still, und er war ganz zufrieden. Im Lauf der Jahre hatte Neil in viel schlimmeren Gegenden gewohnt als hier.
    Currie parkte gleich innerhalb des Tores. Als er den Motor abgestellt hatte, war es um ihn herum vollkommen ruhig, die Stille wurde nur unterbrochen durch Vogelgezwitscher und das friedliche Rauschen des Stadtverkehrs, das wie ein in der Ferne fließender Wasserstrom klang.
    Beim Abschließen piepste der Wagen zweimal. Currie begann, mit der Flasche in der Hand die lange Einfahrt hinaufzugehen. Die Brise blies ihm warme Luft ins Gesicht. Dann traf sie auf die seitlich stehenden Bäume, die leise rauschten und dann wieder still dastanden. Als er die Kuppe des steilen Hügels erreichte, war er außer Atem.
Fast fünfundvierzig jetzt
, erinnerte er sich deprimiert. Die Zeit ließ einen hinter sich. Als Teenager und in seinen Zwanzigern war er ins Fitness-Studio gegangen, aber inzwischen war das nicht mehr aktuell. Die Vorsätze, wieder damit anzufangen … na ja, irgendwie fand er nie die Zeit dazu. Und jedenfalls konnte es zu diesem Zeitpunkt nur noch darum gehen, das Versäumte wieder aufzuholen, oder? Er hatte den Zenith des Lebens überschritten, von jetzt an ging es abwärts.
    Noch diese Woche, dachte er. Irgendwann.
    Ein paar Schritte vom Weg entfernt fand er seinen Sohn.
    Currie trat vorsichtig um die Einfassung.
    Auf dem gewölbten, schlichten Stein stand die einfache Inschrift: Neil S. Donald, der Mädchenname seiner Frau, und zwei Datumsangaben, die ein Leben von kaum mehr als neunzehn Jahren umschlossen. Auf dem Grab lag ein Strauß frischer Blumen, die bestimmt seine Frau und ihr Bruder heute hingelegt hatten. So war es abgesprochen, aber trotzdem ärgerte es
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