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Tote Stimmen

Tote Stimmen

Titel: Tote Stimmen
Autoren: Steve Mosby
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Meinungsverschiedenheiten darüber, wie das im Detail ablief. Manche sagten, der Körper produziere etwa nach dem ersten Tag schmerzstillende chemische Substanzen, während andere die Ansicht vertraten, es sei die Hölle, so zu sterben. Was zweifellos feststand, waren die körperlichen Folgen und Abläufe. Während Alison Wilcox’ Körper dehydrierte, verlor er die Fähigkeit zu schwitzen, und die Temperatur stieg dadurch extrem stark an. Ihr Mund, die Zunge und die Kehle waren qualvoll ausgetrocknet. Ihre Haut wurde rissig wie Pergament. Der Urin, den sie noch abzusondern in der Lage war, wurde immer konzentrierter und so heiß, dass er auf der Haut brannte. Irgendwann, als ihre Gehirnzellen zusehends abstarben, bekam sie Fieber und wurde immer verwirrter. Schließlich verlor sie das Bewusstsein. Es hatte wohl eine Zeitspanne zwischen ein paar Tagen und zwei Wochen gedauert, bis ihre Organe abschalteten, wie Lichter ausgingen, und ihr Körper endlich starb.
    Und in dieser ganzen Zeit war niemand gekommen.
    Wegen des Geburtstages dachte Currie wieder an Neil. An dem Tag, als er seinen Sohn fand, hatte er vor dem Haus gestanden und bemerkt, dass das Gebäude dunkler und bedrohlicher als die anderen Häuser wirkte. Die Sonne schien auf die Nachbarhäuser, während das von Neil im Schatten stand, und alles war zu still. Als er das Tor aufmachte und durch den mit Abfall übersäten Garten ging, hatte er irgendwie schon geahnt, was er da drinnen vorfinden würde.
    Jetzt fragte er sich, ob jemand etwas Ähnliches gespürt hatte, als er die Straße entlang bis zu diesem Haus gekommen war. Wie konnte man es
nicht
spüren? Es schien unmöglich. Das Haus wirkte wie eine Insel der Trauer. Der Tod der jungen Frau war wie eine Anklage.
    Da unterbrach Swanns Mobiltelefon mit seinem Klingeln Curries Gedanken. Sein Kollege ging auf den Treppenabsatz hinunter und meldete sich, während sich die Muskeln unter den hellblauen Ärmeln seines Hemdes wölbten.
    Dale, der Pathologe, erhob sich. »Alles passt jedenfalls zu den früheren Fällen«, sagte er. »Schwierig, unter diesen Umständen die tatsächliche Todesursache festzustellen.«
    »Dehydration?«
    »Ja. Wahrscheinlich Organversagen, aber es ist möglich, dass ihr Rachen so angeschwollen war, dass sie im wahrsten Sinn des Wortes nicht mehr in der Lage war zu atmen.«
    Currie kaute langsam auf dem Kaugummi herum. Sein eigener Mund war trocken.
    »Es gibt keine Anzeichen für sexuelle Gewalt und keine offensichtlichen Verletzungen außer den Wunden an Handgelenken und Knöcheln.«
    Sie hatte sich natürlich zu befreien versucht.
    Currie sagte: »Und das alles spielte sich hier ab?«
    »Sieht so aus. Der Zustand der Bettwäsche weist darauf hin, obwohl man es im Moment nicht mit Sicherheit sagen kann.«
    Der Zustand der Bettwäsche. Curries Blick huschte über das verschmutzte, verkrustete Laken unter der Leiche. Er fragte sich, ob es ihr zuerst peinlich gewesen war, bevor sie völlig gleichgültig wurde. Bevor die Verlegenheit von Panik, vielleicht sogar Wahnsinn abgelöst wurde.
    »Es wäre am besten, sie so bald wie möglich mitzunehmen«, sagte Dale. »Dann werde ich genauere Aussagen machen können.«
    »Nein. Wir brauchen sie noch eine Weile hier vor Ort.«
    Es ging Currie gegen den Strich, die Leiche noch länger am Tatort liegen zu lassen. Er sah sie an und stellte sich vor, wie um sie herum teilnahmslos die endlose Zeit verstrichen war. Seine Gedanken schufen ein Zeitraffervideo von Alison: Zuerst kämpfte sie noch, die Muskeln verkrampften sich, sie zuckte, ihr Kopf drehte sich von einer Seite zur anderen, wie bei jemandem, der einen Alptraum hat. Tage und Nächte brachten Helligkeit und Dunkel in den Raum, während sie etappenweise starb.
    Das Video lief in Curries Kopf ab, und er empfand Trauer über jeden Augenblick der Einsamkeit, der verstrich, ohne dass jemand kam und sie fand oder nachsah, wie es ihr ging. Deshalb wollte er sie endlich hier herausholen – aber sie waren zu spät gekommen, es machte keinen Unterschied mehr. Das Einzige, was sie jetzt noch für sie tun konnten, war, den Verantwortlichen zu fassen.
    »Wir können es uns nicht leisten, etwas am Tatort zu übersehen.«
    »Natürlich.« Dale nickte langsam, blies dann die Backen auf und stieß die Luft aus. »Ich muss ein paar Anrufe erledigen. Bin gleich wieder da.«
    »Alles klar. Danke, Chris.«
    Currie trat zur Seite, damit der Pathologe gehen konnte. Einen Moment später kehrte Swann zurück,
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