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Tote Männer Milch (German Edition)

Tote Männer Milch (German Edition)

Titel: Tote Männer Milch (German Edition)
Autoren: Simone Malina
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dann dingfest gemacht wurde. Wie dutzende von Augenpaaren, gen Baumkrone gerichtet, sie ungläubig angafften. Aber Frau Brösel, was machen Sie denn zur nachtschlafenden Stunde da oben auf dem Baum und plärren die ganze Siedlung zusammen? Ja, das würden sie freilich fragen. Und Sie? Was sollte sie dann antworten? Dass sie zufällig des Nachts auf einen Baum saß, ganz beiläufig in das Fenster ihrer Nachbarn geschaut und beobachtet hat, wie sich das Paar gerade erschlagen, erwürgen oder sonst wie um die Ecke bringen wollte? Ich wollte doch nur Unheil vermeiden, würde sie von ihrem Baum wispern. Unheil? Wieso Unheil, würden die beiden Drahtzieher ihr in den Rücken fallen und sie verständnislos angaffen. Sie würden über Isolde lachen. Sich demonstrativ in den Arm nehmen und sich ein Küsschen auf die Wange geben, um Isoldes schwachsinnige Anmaßung – denn darauf liefe es ja wohl hinaus, zu unterstreichen. Heißt es nicht so schön: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich?
    Nein, du lieber Himmel, ich halt mich da mal lieber raus, ich werde überhaupt gar nichts tun, dachte Isolde. Dann habe ich eben einen Mord mehr auf den Gewissen. Einen mehr oder...
    Isolde stockte.
    „Nein ... nicht...“, wimmerte sie.
    Ihre Fingerkuppen bohrten sich instinktiv in die Rinde des Astes. Ihre Augen waren entsetzt auf die Frau gerichtet, die am Kragen ihres Kimonos gepackt, mehrmals um die eigene Achse gewirbelt wurde, zu Boden gedrückt, wie ein nasser Lappen wieder hochgezogen und in Richtung Terrassentür geschleift wurde. Ihr Gesicht wurde gegen die Glasscheibe gepresst, ihre Nase war platt gedrückt, so dass sie aussah wie ein verschwommenes Schweinchen. Anschließend wurde die Tür aufgerammelt und die Frau flog wortlos hinaus. Alles geschah wie im Zeitraffertempo. Isolde vergaß das Atmen, bemerkte es erst, als ihr schwindelig wurde. Während die Frau wie ein neugeborenes Kalb auf die Wiese torkelte, zusammenbrach, sich wieder aufraffte, zurückhumpelte und gegen die Fensterfront trommelte:
    „Lass mich rein – du Schlappschwanz! Das ist mein Haus!“
    Viel zu laut, wie sie gleich selbst feststellen musste. Denn auch im Nachbarhaus ging ein Licht an. Isolde konnte sich ein sachkundiges Nicken nicht verkneifen. Noch bevor sich eine Stimme nach dem Rechten erkundigen konnte, war die Frau verschwunden. Isolde war sicher, dass sie zum Eingang des Hauses gelaufen war, um sich über die Garage wieder Zutritt zu verschaffen. Auch Isolde versuchte, sich aus dem Staub zu machen. Sie war gerade im Begriff, die Leiter hinabzuklettern, als sie sich an den ursprünglichen Beweggrund ihrer nächtlichen Baumbesteigung erinnerte. Ihr Brief! Ja, natürlich, dachte sie. Also kletterte sie wieder hinauf und steckte ihn in das Vogelhäuschen.
    „Ist da jemand?“, meldete sich eine verschlafene Stimme aus dem Nachbarhaus.
    „Die Müllerin, na dacht ich’s mir doch“, murmelte Isolde gepresst.
    „Hallo – ist da wer?“
    Die Stimme entpuppte sich hartnäckiger als sie klang.
    Entnervt verdrehte Isolde die Augen und zappelte ungeduldig von einem Bein aufs andere.
    „Verdammt, hier ist niemand. Kriech zurück in deine Koje“, zischte sie stattdessen leise.
    Sie wollte so schnell wie möglich wieder hinabklettern, aber hatte Bedenken, dass sie sich durch das Knarren der Sprossen unnötig Aufmerksamkeit verschaffte.
    „Haaallo?“
    „Haaallo?“, äffte Isolde sie nach und stieß einen Stoßseufzer aus, als die Nachbarin endlich die Fensterläden schloss.
     
    „Was für ein Tag“, stöhnte Isolde und massierte ihre pochenden Schläfen.
    Sie knetete ihr Kopfkissen zurecht und ließ sich erschöpft nieder. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Wie Irrlichter flackerten ihre Augen durch den von Mondlicht erhellten Raum. Sie fand keine Ruhe. Vergeblich versuchte sie, die Gedanken zu zügeln, die in ihrem Kopf galoppierten. Wie war es möglich, dass sich Liebe und Hass so unverhohlen die Klinke in die Hand geben konnten? Sie hatte Schwierigkeiten, sich eine Erklärung zurechtzulegen. Isolde suchte ein Motiv. Aber ihre Spekulationen schweiften ab und blieben im Morast schlüpfriger Indizien stecken, die sie am Ende selbst als Täterin entlarvten. Sie dachte an das sündige Bildmaterial, das sie sich während des Gewitters heimtückisch verinnerlicht hatte, als sie in die Intimsphäre ahnungsloser Menschen eingedrungen ist. Schon längst war es auf ihrer geistigen Festplatte gespeichert. Jederzeit abrufbar. Zum Kopieren, Stimulieren,
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