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Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Tote Maedchen schreiben keine Briefe

Titel: Tote Maedchen schreiben keine Briefe
Autoren: Gail Giles
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würden. Die anhaltende Ruhe verblüffte mich.
    »Jasmine, meine Jazz kommt nach Hause?«
    Ich bemerkte, dass Moms Tränen den dicken Kragen des Frotteemantels durchtränkt hatten. »Ja, Mom, genau das denken Dad und ich.« Ich schloss die Augen und rieb mir mit den Fingerspitzen die Lider.
    »Sie kommt nach Hause?« Moms Worte hallten verloren und hoffnungsvoll auf dem Ziegelboden wider. Nach Hause. Nach Hause. Nach Hause.
    Dad schob geräuschvoll den Stuhl zurück und ging durch die Küche. Er holte einen Becher aus dem Schrank und goss sich Kaffee ein.
    »Ja, sie kommt nach Hause, Lily. Also hör auf, das hilflose kleine Mädchen zu spielen. Du wirst wieder eine Mutter sein. Vielleicht solltest du dich entsprechend kleiden.«
    Ich fühlte mich, als hätte man mir ins Gesicht geschlagen. Ich ging zur Tür. »Ich lass euch mal den Brief lesen und alles besprechen.« Mein Tonfall war kalt und hart. Wie ihre Herzen.
    »Sunn, ich verstehe dich nicht«, sagte Dad. »Warum verhältst du dich so? Man könnte meinen, du willst nicht, dass Jazz nach Hause kommt.«
    Dads Stimme klang gar nicht mehr schwach oder zitterig, sondern fest und bohrend. Der Journalist war von den Toten auferstanden.
    Das waren eine Menge Wiederauferstehungen heute.
    »Mir geht es genauso wie Mom und dir.« Ich rang um Worte. Ich musste hier raus, aus dem Zimmer, aus dem Haus. »Es ist schwer, das alles zu verdauen. Ich muss sie erst sehen, bevor ich es glauben kann.«
    Dad rieb seine Stirn an dem heißen Kaffeebecher, wohl, um die Kopfschmerzen zu lindern. Er wirkte besänftigt. »Ja, wahrscheinlich hast du recht. Und du hattest immerhin Gelegenheit, den ersten Schock zu verkraften.«
    »Ja, klar.« Ich stieß die schwere Schwingtür auf und hastete durch das Ess- und das Wohnzimmer nach draußen. Im Gartenschuppen schnappte ich mir eine schwere Schaufel und hetzte weiter zum Briefkasten. Mit beiden Händen umklammerte ich den Griff wie ein Schlagmann beim Baseball und holte aus, einmal, dann noch einmal und noch einmal. Ich hörte erst auf, als der Briefkasten völlig zertrümmert auf der Erde lag.

 
4. Kapitel
    N iemandem fiel das plötzliche Ableben des Briefkastens auf. Niemandem fiel auf, dass ich den Rest des Tages in meinem Zimmer verbrachte. Niemandem fiel irgendetwas auf. Mit einem Mal war alles wieder beim Alten.
    Als ich abends nach unten kam, stand ein Bucket von Kentucky Fried Chicken auf dem Küchentisch. Ein einsamer Hähnchenflügel und eine Keule lagen noch darin. Mom, immer noch im Bademantel, holte Lebensmittel aus Plastiktüten und baute die Einkäufe auf der Küchentheke auf.
    »Den Braten kann ich schon gegen zehn in die Röhre schieben. Den Kartoffelbrei stampfe ich vor dem Essen und die Soße mache ich dann auch fertig. Jazz mag die grünen Bohnen gedünstet, also müssen die bis zum Schluss warten. Heute Abend backe ich noch Brownies.«
    Sie warf mir einen Blick über die Schulter zu. »Ich habe Eis mit Karamellcreme zu den Brownies.« Mom öffnete den Kühlschrank, legte den Braten hinein und den Beutel mit Bohnen daneben und holte dann Kopfsalat, Tomaten und rote Zwiebeln aus der Einkaufstüte. »Jazz mag die Brownies warm, aber wenn ich sie morgen ein paar Sekunden in die Mikrowelle stelle, sind sie wunderbar. Meinst du nicht?«
    Mom sprach in ganzen Sätzen, aber sie redete mit dem Braten, der Luft oder der Katze und so machte ich mir nicht die Mühe zu antworten. Sie war fast schon manisch und ich wusste, dass jederzeit ein Zusammenbruch drohte. Ich riss ein Papiertuch von der Küchenrolle ab und setzte mich. »Wo kommen die Lebensmittel her?«, wollte ich wissen.
    Mom befüllte weiter den Kühlschrank.
    »War Dad für dich einkaufen?«
    »Ich habe ihn nicht darum gebeten. Das war für Jasmine. Wir wollten beide, dass all ihr Lieblingsessen im Haus ist.«
    Mom schloss die Kühlschranktür und kramte auf der Suche nach dem Brownieblech klappernd in den Küchenschränken herum.
    »Er hat am Busbahnhof angerufen. Der einzige Bus, der infrage kommt, trifft um Viertel nach zwölf ein.«
    »Also, ihr beiden habt beschlossen, in die Vollen zu gehen.«
    »Ich weiß nicht, warum du immer so missmutig bist, Sunny. Warum kannst du nicht ein wenig mehr wie deine Schwester sein?«
    »Hab wohl einfach nur Glück gehabt.« Ich wickelte die Hähnchenreste in das Küchenpapier und warf sie in den Mülleimer. »Ich geh in mein Zimmer. Ich will noch ein Buch zu Ende lesen.«
    Am nächsten Tag zog ich eine Latzhose, ein sauberes weißes
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