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Tote lieben laenger

Tote lieben laenger

Titel: Tote lieben laenger
Autoren: Scott Nicholson
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Mein Versagen hatte darin bestanden, zu verhindern, dass sie jemals richtig leben konnte.
    Nein, sie war nicht Diana Kelly Rognstad Steele, ein Geschöpf der Liebe und des Lichts, eines der besonderen Kinder Gottes. Sie war keine Frau gewesen, ein heiliges Etwas, das von mir gehegt, geehrt und gepriesen wurde. Sie war nicht der Tempel all dessen gewesen, was wertvoll und würdig ist.
    Nichts von alledem.
    Sie war nichts anderes gewesen als eine Müllkippe für meinen Schmerz, meine Dunkelheit und meine Selbstsucht.
    Ich konnte sie nicht sehen, aber ich fühlte sie, und sie unternahm diese Reise in die tiefsten Tiefen meiner Seele gemeinsam mit mir. Ihre Augen weiteten sich aus Überraschung und vielleicht etwas Mitgefühl.
    "Richard", flüsterte sie mit der Stimme, die sie in ihren zärtlichsten und wohlwollendsten Momenten gebraucht hatte, in guten Zeiten, als wir noch wie Jungfrauen für einander waren, die sich gegenseitig auskundschafteten. Als wir mutig waren und einander noch nicht gegenseitig ausschlossen.
    "Es tut mir leid", sagte ich und das war alles. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich es ohne ein unhörbares "aber..." im Anschluss gesagt, auf das dann ein Katalog von Rechtfertigungen und Entschuldigungen für erbärmliches, feiges Verhalten folgen würde.
    Tränen liefen unsere gemeinsamen Backen hinab. Sie waren warm wie der Pazifische Ozean im August, kühl wie das Bettlaken eines Liebesnests, wenn der Schweiß verdunstet, heiß wie Dianas umherspringende Höllenflammen, eisig wie die Finger des Sensenmanns, wenn er auf deine Schulter klopft und dich nach Hause ruft.
    "Hast du mich geliebt?" fragte sie, und ich umarmte so gut es ging, während wir beide die gleichen Arme hatten.
    "Ja, und ich tue es immer noch", sagte ich. Das war wahr und überhaupt nicht widersprüchlich. Ich blickte zu Lee, die wie eingefroren in der wirklichen Welt wirkte, über den Brief gebeugt, so hinreißend, dass es weh tat, und dabei all das Licht ausstrahlend, das ich zu schätzen gelernt hatte. Diese Liebe bedeutete nicht, dass ich sie betrog oder in irgendeiner Weise weniger oder heuchlerisch war.
    In meinem Geiz hatte ich nicht erkannt, dass es keinen begrenzten Vorrat an Liebe gibt und dass sie von irgendwoher außer uns kommend durch uns hindurch fließt, zu irgendeinem besseren Ort. Wir sind nur so etwas wie Leitungen, und unsere Aufgabe ist es, die Pipeline offen zu halten und die Liebe in Strömen hindurchfließen zu lassen, anstatt mit unseren Ängsten die Ventile zu schließen.
    "Ich liebe dich, und das werde ich immer", sagte ich. "Für alle Ewigkeit."
    Dieses Bekenntnis musste durch die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten gedrungen sein, denn Lee hob ihren Kopf. Sie blickte zu dem Teil der Wand, an dem ich in meine Ex-Frau versunken war.
    "Mach es fertig", befahl der Gangster.
    Lee verzog ihre Lippen und zog dabei eine Seite nach oben zu einem Lächeln, das wie ein geheimes Signal aussah. Zustimmung womöglich? Verständnis?
    Dianas Wärme durchfloss mich, all die grünende, fruchtbare Feuchtigkeit, mit der sich mich unzählige Male umschlungen hatte, und ich fühlte, wie sie emporstieg.
    "Auftrag ausgeführt", sagte sie. "Nun bin ich frei."
    Und die Feindseligkeit war verschwunden, einfach so, von einem Windhauch davongetragen, als ich ihr gute Reise und viel Glück wünschte.
    Das letzte Echo war ihr Flüstern: "Ich liebe dich auch."
    Dianas Arbeit war erledigt, meine noch nicht. Ich wischte die unsichtbaren Tränen ab und prüfte meine Kräfte. Auch ohne mein Fleisch hatte ich eine schwere Last in mir herumgetragen, und irgendwie war dadurch, dass sie ans Tageslicht gebracht worden war, die vergiftete Dunkelheit in mir beseitigt worden. Aber meine geistigen Batterien waren durch mein starrköpfiges Festhalten an alten Sitten, vergangenem Schaden und nicht getilgter Schuld geleert worden.
    Ich war mir sicher, dass ich zu einer weiteren Verkörperlichung nicht mehr in der Lage war. Aber ich musste etwas tun. Ich konnte den Gedanken an Lees ungerechten Tod nicht ertragen, auch wenn sie das auf meine Seite der Geisterwelt bringen würde.
    Der Schurke mit der Knarre hatte ein Oberlippenbärtchen wie Errol Flynn und war klug genug, Handschuhe zu tragen. Ich zweifelte nicht daran, dass sich Lees Fingerabdrücke auf dem Griff der Pistole befanden und das Gewehr, mit dem er mich erschossen hatte, im Wandschrank verstaut war. Ich schwebte über Lee, den Duft ihrer Haare riechend und die Worte lesend, die sie
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