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Tote im Salonwagen

Tote im Salonwagen

Titel: Tote im Salonwagen
Autoren: B Akunin
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untertauchen. Bitte um Nachsicht! Beim Ertrinken klammert man sich an jeden Strohhalm, wissen Sie. Und immerhin haben Sie mir mehr als einmal aus den fatalsten Situationen herausgeholfen …«
    Der Staatsrat hüstelte, mit einem Strohhalm verglichen zu werden berührte ihn unangenehm. »Aber …«, fuhr er fort, und wie er das sagte, schwang durchaus ein Geheimnis mit.»Was, aber?« horchte Wedischtschew auf, stellte sein Tablett ab, fuhr sich hurtig mit einem Riesentaschentuch über das verheulte Gesicht und rückte näher an den Staatsrat heran. »Gibt es vielleicht doch einen Anhaltspunkt?«
    »Aber … man kann es ja wenigstens versuchen«, brachte Fandorin seinen Satz versonnen zu Ende. »Man muß es sogar. Ich hatte Euer Erlaucht ohnehin um Erteilung der nötigen Vollmachten bitten wollen. Der Mörder hat meinen Namen mißbraucht und mich so gewissermaßen herausgefordert. Ganz zu schweigen von einigen höchst p-peinlichen Momenten heute morgen, die erleben zu müssen er mir eingebrockt hat. Und außerdem hege ich trotz allem die Vermutung, daß der Täter sich von Klin auf kürzestem Wege nach Moskau abgesetzt hat. Vom Tatort bis hier fährt man mit dem Zug eine Stunde, so schnell konnte die Fahndung gar nicht anlaufen. Wäre er hingegen nach Petersburg aufgebrochen, müßte er noch unterwegs sein. Und seit elf Uhr ist die Fahndung ausgerufen, alle Bahnhöfe sind geschlossen, die Eisenbahngendarmerie überprüft die Fahrgäste sämtlicher Züge im Umkreis von dreihundert Werst. Nein, ganz unmöglich, daß er es bis Petersburg geschafft hat.«
    »Und wenn er nun gar nicht mit der eisernen Bahn gefahren ist?« gab der Kammerdiener zu bedenken. »Hat sich statt dessen auf ein Pferdchen geschwungen und ist nach Kleinkleckersdorf getrabt, wo er in der Versenkung verschwindet, bis die Aufregung sich legt?«
    »Kleinkleckersdorf ist für einen, der in der Versenkung verschwinden will, der ganz falsche Ort. Dort fällt jeder Fremde auf. Unterzutauchen ist am einfachsten in der großen Stadt, wo keiner keinen kennt und wo die Revolutionäre ihr konspiratives Netz haben.«
    Der Generalgouverneur sah Fandorin forschend ins Gesicht und klapperte mit dem Deckel seines Schnupftabaksdöschens, ein Zeichen dafür, daß er aus der Verzweiflung heraus in einen Zustand tiefer Nachdenklichkeit gefunden hatte.
    Fandorin wartete ab, bis die Ladung im Nasenloch angebracht und mit schallendem Niesen losgegangen war. Nachdem Wedischtschew seinem Dienstherrn Augen und Nase mit dem Taschentuch trockengetupft hatte (just jenem, mit dem er sich eben noch selbst die Tränen gewischt), kam des Fürsten Frage: »Und wie wollen Sie ihn suchen, selbst wenn er hier in Moskau ist? Wir haben eine Million Menschen in der Stadt. Ich bin nicht einmal befugt, Ihnen Gendarmerie und Polizeiapparat zu unterstellen, geschweige in der Lage, sie zur Mitarbeit zu bewegen. Wie Sie wissen, trudelt mein Gesuch um Ihre Ernennung zum Polizeipräsidenten schon den dritten Monat durch die Instanzen. Die ganze Polizei ein einziges Babylon, so sieht es aus, mein Lieber.«
    Was Seine Erlaucht unter einem Babylon verstand, waren die chaotischen Zustände, die in der Stadt herrschten, seit der letzte Polizeipräsident, der den Begriff »nichtabrechnungspflichtige Geheimfonds« etwas sehr wörtlich ausgelegt hatte, suspendiert worden war. In der Hauptstadt Petersburg war daraufhin ein langwieriges bürokratisches Procedere in Gang gesetzt worden: Der dem Fürsten nicht wohlgesinnte Hofklüngel mochte unter keinen Umständen zulassen, daß die Schlüsselposition einem von Dolgorukois Zöglingen zufiel, hatte aber auch nicht die Handhabe, dem Generalgouverneur seinen eigenen Favoriten aufzuzwingen. Derweil mußte die Riesenstadt ohne obersten Schutzherrn und Gesetzeshüter auskommen. Dem Polizeipräsidenten hätte es oblegen, das Vorgehen der städtischen Polizei, der Gendarmerieverwaltungdes Gouvernements und der staatlichen Geheimpolizei zu lenken und zu koordinieren, statt dessen ging es zu wie im Zigeunerlager: Oberstleutnant Burljajew von der Geheimpolizei und Oberst Swertschinski von der Gendarmerie schikanierten einander unentwegt, was sie jedoch nicht daran hinderte, gemeinsam über die Verschleppungsmanöver unverschämter Reviervorsteher Klage zu führen.
    »Stimmt, für konzertierte Aktionen ist die Situation nicht eben günstig«, gab Fandorin zu. »Doch im g-gegebenen Fall könnte uns die Uneinigkeit der Ermittlungsorgane sogar zupaß kommen ….«
    Die
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