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Tote gehen nicht

Tote gehen nicht

Titel: Tote gehen nicht
Autoren: Carola Clasen
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einem grünen Pullover vor ihr und fragte, ob sie wohl zueinander passten. Hemd und Pullover passten nicht zusammen, nein, dafür er und sie um so mehr. Sie wusste es sofort. Er auch. Der Funke sprang sofort über. Aus der Beratung wurde ein Abendessen, aus dem Abendessen eine gemeinsame Nacht. Aus der ersten Nacht ganz viele, und ganz viele Farb-Beratungen. Und sie dachte, es sei für immer. Sie wechselte für ihn den Arbeitsplatz. Sie wurde Krankenschwesternhelferin in der   Klinik am Wald , wo er auf der Inneren als Arzt tätig war. Sie musste in seiner Nähe sein. Sie konnte die Augen nicht von ihm lassen.
    Aber dann war von einem Tag auf den anderen nichts mehr wie zuvor. In dieser Nacht stieg ein Gespenst aus der Finsternis zu ihm herauf, nistete sich in seinem Kopf ein, machte sich dort breit und redete ihm ein, dass sie nicht zueinander passten. Es sagte ihm, sie enge ihn ein. Und er hörte darauf. Er machte ihr Vorwürfe. Er zog sich zurück. Und dann kam der schreckliche Tag, und er schickte sie fort. Denn das Gespenst wollte ihn ganz für sich allein haben, den ganzen Edgar, nicht nur seinen Kopf, so sind sie, die Gespenster. Das war am 24. November 2007 gewesen.
    Während Rita rechts in den Verwaltungstrakt einbog, faltete sie den Plan ein weiteres Mal auseinander. Sie konnte sich an dem Anblick nicht satt sehen: der rote und der schwarze Strich, sie verknüpften sich zu einer rot-schwarzen, unauflöslichen Endlosschleife, die vor ihren Augen verschwamm.
    »Stopp! Immer langsam!«
    Weißer Arztkittel, laute Stimme, zwei große Hände auf ihrer Schulter, die sie ausbremsten. Das konnte nur einer sein. Sie blickte hoch. Dr. Lutz Winkelmann. Sie war in seine Arme gelaufen. Als Edgar und sie ein Paar wurden, hatten sie sich auf einigen Partys zu dritt amüsiert und waren einige Male zusammen essen oder ins Kino gegangen.
    Aber Edgar hatte immer schon weniger Freizeit gehabt als Lutz, nicht etwa wegen ihr, sondern wegen seines Sports. Edgar war ein Freak, er scharrte mit den Hufen, wenn das Wetter so schlecht war, dass er kaum vor die Tür konnte. Als Rita ihm vorschlug, sich ein Laufband anzuschaffen, auch in der Hoffnung, sie könne in seiner Nähe sein, wenn er um sein Leben rannte, blickte er sie an, als habe sie ihm geraten, einen Mord zu begehen.
    »Weißt du, wo Edgar steckt?«, hörte sie Lutz fragen.
    Edgar war unbeirrbar. Er war wie besessen. Rita fragte sich ohne Unterlass, warum er nicht auf sein Herz hörte – anstatt auf dieses Gespenst in seinem Kopf. War er vielleicht krank? Manchmal fürchtete Rita, das Gespenst in seinem Kopf wäre ein Tumor. Manchmal hoffte sie, dass es so wäre. Man könnte ihn herausschneiden und alles wäre wie früher.
    Lutz rüttelte an ihren Schultern. »Hallo? Rita? Jemand zu Hause? Weißt du, wo Edgar ist?«
    »Keine Ahnung!« Sie befreite sich aus seinen Armen und lief weiter. Er rief ihr irgendetwas hinterher. Aber sie konnte jetzt nicht stehen bleiben und mit ihm reden, ohne ihm zu sagen, wie glücklich sie darüber war, dass sie endlich wusste, wann Edgar in diesem Jahr Urlaub hatte.
    Es schneite und regnete gleichzeitig, als Rita nach Schichtende die   Klinik am Wald   verließ. Erst 20 Uhr, aber es war schon dunkel, als wäre es mitten in der Nacht. Die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos blendeten sie. Sie hielt den schwarzen Schirm nah über ihren Kopf und trat von einem Fuß auf den anderen, während sie auf den Bus wartete, der schon fünf Minuten Verspätung hatte. Andere Schirme stießen gegen ihren, garantierten aber immerhin einen Sicherheitsabstand. Sie hasste es, wenn sie Schulter an Schulter mit anderen stehen musste. Gesprächsfetzen drangen zu ihr. Ein älteres Paar, sie mit grauem Haar, er mit krummem Rücken, beide elegant gekleidet.
    »So ein schreckliches Wetter.«
    »Ja, es macht mich ganz krank. Lass uns wegfahren. Ich möchte irgendwohin, wo es warm ist.«
    »Ja, das wäre schön, warm und hell und nicht allein.«
    Wer wollte das nicht, fragte sich Rita. Sie wandte sich ab, entfernte sich ein paar Schritte, ließ den Schirm sinken, blickte in den dunklen Himmel und ließ sich für einen kurzen Moment den Schneeregen ins Gesicht tropfen, ehe sie ihre Haare schüttelte und den Schirm wieder über sich hielt. Natürlich! Warum war sie nicht eher darauf gekommen?
    Der Bus trudelte heran. Die Scheiben waren beschlagen, die Passagiere drängten sich, neue stiegen hinzu, kein Sitzplatz war mehr frei, auch kein Stehplatz mehr. Nichts für
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