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Total verhext

Total verhext

Titel: Total verhext
Autoren: Terry Pratchett
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Spitzhornbergen nahm nicht am Sabbat teil. Nun, Hexen gehen abends ebenso gern aus wie alle anderen Leute, aber in diesem Fall mußte sie einen Termin wahrnehmen, der nicht verschoben werden konnte.
    Desiderata Hohlig machte ihr Testament.
    Als Mädchen hatte Desiderata Hohlig von ihrer Großmutter vier Ratschläge bekommen, die ihr den Weg durch das Labyrinth des Lebens weisen sollten. Sie lauteten:
    Traue nie einem Hund mit orangefarbenen Brauen.
    Laß dir stets Namen und Adresse des jungen Mannes geben.
    Trete auf keinen Fall zwischen zwei Spiegel.
    Trag an jedem Tag frische Unterwäsche, weil du nie weißt, wann du von einem durchgebrannten Pferd zu Boden gestoßen wirst; du würdest vor Scham sterben, wenn dich die Leute mit schmutzigem Schlüpfer fänden.
    Schließlich verwandelte sich das Mädchen namens Desiderata in eine Hexe, und einer der Vorteile des Lebens als Hexe besteht darin, den Zeitpunkt des eigenen Todes zu kennen – was bedeutet, daß man jede beliebige Unterwäsche tragen kann. 5
    Das alles lag inzwischen achtzig Jahre zurück. Damals erschien die Vorstellung, den Zeitpunkt des eigenen Todes zu kennen, recht attraktiv, denn insgeheim glaubte man fest daran, ewig zu leben.
    Acht Jahrzehnte reichen aus, um Überzeugungen dieser Art zu erschüttern.
    Die Ewigkeit schien immer kürzer zu werden.
    Im Kamin knackte es, als ein weiterer Scheit zu Asche zerfiel. Desiderata hatte es nicht für nötig gehalten, für den bevorstehenden Winter Feuerholz zu sammeln. Solche Mühen lohnten kaum mehr.
    Und dann die andere Sache …
    Sie hatte den Gegenstand eingewickelt, und er präsentierte sich nun als langes, dünnes Paket. Frau Hohlig faltete den Brief zusammen und schob ihn unter den Bindfaden, nachdem sie die Adresse hinzugefügt hatte. Erledigt.
    Nach einigen Sekunden hob sie den Kopf. Seit dreißig Jahren war Desiderata blind, woraus sich jedoch keine Probleme für sie ergaben; immerhin hatte sie das Schicksal mit der Gabe des zweiten Gesichts gesegnet – wenn man dabei von einem »Segen« sprechen durfte. Als ihre normalen Augen versagten, konzentrierte sie ihre hellseherischen Fähigkeiten aufs Gegenwärtige, anstatt mit ihnen in die Zukunft zu blinken. Und da die Pupille des Okkulten auch im Dunkeln sah, sparte sie Kerzen. Es gab überall einen Lichtblick, wenn man nur aufmerksam genug Ausschau hielt. Sozusagen.
    An der Wand vor Desiderata hing ein Spiegel.
    Das Gesicht darin gehörte nicht ihr. Es war nicht rund und rosarot.
    Es war das Gesicht einer Frau, die gern Befehle gab. Desiderata Hohlig hatte nie versucht, Anweisungen zu erteilen. Ihr Charakter verlangte eher das Gegenteil.
    »Du stirbst, Desiderata«, sagte die Fremde.
    »Das stimmt.«
    »Du bist alt geworden. Typisch für Frauen wie dich. Du hast den größten Teil deiner Macht verloren.«
    »Ich kann’s nicht leugnen, Lilith«, erwiderte Desiderata sanft.
    »Also hast du keine Möglichkeit mehr, sie zu schützen.«
    »Ich fürchte, ich muß dir auch in diesem Punkt zustimmen.«
    »Damit bleiben zwei übrig: die Frau aus dem Sumpf und ich. Und ich werde gewinnen.«
    »So scheint’s«, sagte Desiderata unverbindlich.
    »Du hättest dir eine Nachfolgerin suchen sollen.« »Hab’s versäumt. Organisieren und planen fiel mir immer schwer.« Das Gesicht im Spiegel schwoll an – seine Eigentümerin schien sich dieser Seite des Glases zu nähern.
    »Du hast verloren, Desiderata Hohlig.«
    »Tja, so ist das eben.« Desiderata stand ein wenig mühsam auf und griff nach einem Tuch.
    Ärger zeigte sich nun in der Spiegelmiene. Offenbar vertrat jene Frau den Standpunkt, daß Verlierer demütig den Kopf zu senken hätten, anstatt amüsiert zu lächeln.
    »Weißt du denn gar nicht, was eine Niederlage bedeutet?«
    »Oh, man hat es mir genau erklärt«, entgegnete Desiderata. »Auf Wiedersehen, Verehrteste.« Sie hängte das Tuch über den Spiegel.
    Jemand schnappte zornig nach Luft, und dann herrschte Stille.
    Eine Zeitlang rührte sich Desiderata nicht von der Stelle. Sie schien tief in Gedanken versunken zu sein. Dann drehte sie andeutungsweise den Kopf und fragte: »Ich habe eben Wasser aufgesetzt. Möchtest du eine Tasse Tee?«
    NEIN, DANKE, erklang eine Stimme hinter ihr.
    »Wartest du schon lange?«
    SEIT EINER EWIGKEIT.
    »Hoffentlich halte ich dich nicht auf.«
    ES IST EINE RUHIGE NACHT.
    »Ich genehmige mir einen Tee. Und ich glaube, es sind noch einige Kekse übrig. Wenn du …«
    NEIN, DANKE, wiederholte die Stimme.
    »Falls du es dir
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