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Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Titel: Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
Autoren: C.J. Lyons
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den Jungen beiseiteschaffen konnte. Er hieß Nelson. Den Fotos in der Zeitung nach ein hübscher Junge. Schwarze Locken, große dunkle Augen, breites Lächeln.
    Genau wie Du und Josh. Ich weiß, dass Josh bei Dir ist. So muss es sein. Diese Hoffnung hält mich aufrecht, sorgt dafür, dass ich nicht den Verstand verliere. Zu wissen, dass ihr beide zusammen seid.
    Ich werde euch finden. Bald. Versprochen. Vielleicht wird der Regen euch hervorbringen. Falls Damian euch nicht zu tief vergraben hat. Ich bekomme die Bilder nicht aus meinem Kopf heraus – von dem, was Damian mit Josh angestellt haben mag, nachdem er mit Dir fertig war.
    Tut mir leid, da bin ich wieder. Manchmal muss ich mich kurz im Bad einschließen, dann drehe ich sämtliche Wasserhähne auf und schreie mir die Seele aus dem Leib, bis meine Stimme versagt und das Zimmer voller Wasserdampf ist. Dann stelle ich mir vor, Du wärst neben mir im Spiegel zu sehen und Josh schliefe wohlbehalten hinter der Tür. Halte den Atem an, bis der Nebel sich verzieht und es niemand, der noch bei Verstand ist, länger leugnen kann, dass ich allein bin. Allein mit meinen Gedanken, meinen Ängsten, dem Zorn und der Verzweiflung – Ihr fehlt mir beide so sehr, doch ich bin nicht imstande, das mit Worten auszudrücken.
    Hal Waverly ist meine größte Stütze. Als Polizeichef hat er natürlich schon viel Schlimmes erlebt – und selbst jemanden verloren, also versteht er mich besser als irgendjemand sonst. Er hält Distanz und ist doch gleichzeitig immer in meiner Nähe, schaut zwischen den Einsätzen ab und zu nach mir und sorgt dafür, dass immer genug Essen im Haus ist und ich nicht drei Tage hintereinander dieselben Kleider trage. Was jedoch am wichtigsten ist, er lässt mich einfach, wenn ich alldem mal entkommen muss – meist hinaus in den Nebel und den Regen, der uns in der letzten Woche zu ertränken versucht hat.
    Alle anderen verziehen den Mund und fragen sich, ob ich endgültig verrückt geworden bin – oder ob die tickende Zeitbombe nun endlich explodiert ist. Nicht so Hal.
    Selbst die Frau des Colonels war mir eine Hilfe, auch wenn ich es ungern zugebe. Sie scheucht alle Besucher fort, putzt das gesamte Haus und schickt mich nach einem heißen Bad und einer Tasse ihres Kräutertees, der nach Großmutters Umarmung schmeckt – so warm und zimtig –, ins Bett. Ich werfe sie immer wieder hinaus, aber anscheinend sieht sie mich als ihr persönliches Projekt. Als wäre sie die Einzige, die mich retten könnte. Ich sage ihr nicht gern, dass sie nur ihre Zeit verschwendet.
    Ich kann nicht klar denken. Der Colonel muss mir noch mehr Xanax in den Tee getan haben. Vielleicht auch Prozac. Oder beides. Er schleicht um mich herum wie der Nebel um den Berg. Sie alle beobachten mich – der Colonel, seine Frau, Hal Waverly, Dr. Hedeger, die Kollegen in der Schule. Die ganze Stadt wartet mit angehaltenem Atem darauf, dass ich durchdrehe. Tick, tick, bumm!
    Sie denken, ich könnte mich umbringen oder mir sonst irgendwie schaden. Doch das könnte ich niemals. Nicht, ehe ich Euch gefunden habe.
    Dann werden wir weitersehen. Ein Danach kann ich mir überhaupt nicht vorstellen.
    Umarme also Josh für mich und sag ihm, er solle sich nicht fürchten und dass Mami ihn über alles liebe! Sag ihm, dass ich euch finden werde! Ich werde euch beide finden. Irgendwie, irgendwann, eines Tages.
    Ich liebe Dich. Gott, wie sehr ich Dich liebe – warum war ich damals bloß nicht hier? Warum hat es nicht mich treffen können?
    Ich schlafe mit geöffneten Vorhängen, damit ich den Berg aus dem Nebel aufsteigen sehe. So habe ich das Gefühl, dass Du irgendwo dort oben im Dunkel über mich wachst. Und wenn ich das Licht anlasse, dann können Du und Josh vielleicht den Weg nach Hause finden …

4
    Sarah wappnete sich innerlich und zog die Tür zum Rockslide Café auf. Stimmengewirr und der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee und Zimtschnecken drangen ihr entgegen. Hinter der Theke stand der Colonel und schwenkte unter dem morgendlichen Ansturm wie üblich Pfannkuchen und gebratenen Speck, was ihn aber keineswegs von regen Gesprächen mit den Umstehenden abhielt. Ihre Urlaubspläne für den Sommer würden ihm nicht gefallen. Aber sie war seine Missbilligung gewohnt.
    An der Schwelle hielt sie kurz inne. Das American Diner im Fünfzigerjahre-Stil war ganz in rotem Kunststoff und Chromflächen gehalten, an den Wänden hingen Bilder, die nach Meinung des Colonels Beachtung verdienten. Eines zeigte
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