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Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Titel: Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
Autoren: C.J. Lyons
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hinter dem Sichtfenster sah man ungeschönt seine Funktion an. Eine im Boden verankerte Pritsche mit ausklappbaren Armstützen war das einzige Möbelstück.
    »Möchten Sie noch etwas sagen?«, fragte der Gefängnisdirektor den zum Tode Verurteilten.
    Sarah horchte auf. Eine Fliege unterbrach das unheilige Prozedere, stieß unter ohrenbetäubendem Surren immer wieder mit den Flügeln gegen das Gitter vor den zwei flackernden Glühbirnen. Damian Wright, für schuldig befundener Mörder und Kinderschänder, öffnete die wässrigen Augen und richtete den Blick direkt auf Sarah. Sie entzog Alan die Hand und ballte sie zur Faust.
    Sag es! Sag irgendetwas! Gib mir einen Hinweis!
    Ihr stummes Flehen wurde jedoch nicht erhört. Damian schwieg, lag schlaff da, ohne sich gegen die Fesseln zu wehren. Einzig die Brust hob und senkte sich, während er auf seinen letzten Atemzug zusteuerte. Sarahs eigener Brustkorb schien vor lauter Anspannung zu bersten. Damian starrte sie weiterhin an und fing an zu lächeln.
    Sarah blinzelte zuerst, gab bereitwillig nach. Sie würde alles tun, wenn es ihr dabei half, Sam und Josh zu finden.
    Damians Lächeln wurde breiter. Doch er blieb stumm.
    Vor Wut zog sich ihr Magen zusammen. Verweigerte er ihr den so verzweifelt ersehnten Schlussstrich, nur weil sie an jenem Tag, an dem er ihr Josh genommen hatte, bei dieser verfluchten Lehrerfortbildung gewesen war? Quälte er sie deshalb? Oder lag es daran, dass von all den Jungs, die er umgebracht hatte, einzig Joshs Vater zu kämpfen bereit gewesen war, bereit gewesen war, für seinen Sohn zu sterben?
    Alan hatte vermutet, Sam habe Damians Ritual gestört. Ihn gezwungen, entgegen seiner kranken Fantasie vom geplanten Ablauf abzuweichen und erst Sam umzubringen, ehe er sich wieder Josh zuwenden konnte.
    Der Pfarrer las aus der Bibel, hob den Blick dabei jedoch nicht ein einziges Mal vom Buch, um nach der verlorenen Seele zu schauen, für die er betete.
    Vor zweiundzwanzig Monaten noch hätte der Psalm Sarah Trost gespendet, sie berührt – heute jedoch waren es nur mehr leere Worte, bedeutungsloser noch als das Surren der Fliege. Sie legte eine Handfläche an das kalte Glas, denn nicht durch Gottes Wort, sondern nur von Damian konnte sie erfahren, was sie wissen wollte.
    Sie war ihr Leben lang gläubig gewesen. Wo aber war Gott, wenn sie ihn am dringendsten brauchte? Wo war er, als ihr Ehemann und ihr Sohn ihn gebraucht hätten?
    »Tut mir leid, dass wir die Hinrichtung nicht aussetzen konnten«, flüsterte Alan. »Ich weiß, wie sehr du gehofft hattest … «
    Sarah tat seine Worte mit einem Achselzucken ab, ihre Welt bestand nur noch aus dem Blick eines Mörders. Desjenigen Mannes, der zugegeben hatte, Sam und Josh umgebracht zu haben, sich aber weigerte, zu verraten, wo sie begraben waren.
    Eineinhalb Jahre hatte sie gekämpft. Gegen Damian Wrights Schweigen, dagegen, dass er sich weigerte, sie zu treffen. Gegen das neue texanische Gesetz, das mit nie da gewesener Effizienz Hinrichtungen im Schnellverfahren möglich machte. Gegen sich selbst, weil sie eigentlich Damians Tod herbeisehnte. Nur ein einziger Wunsch wog stärker: ihren Mann und ihren Sohn zu finden.
    Der Gefängnisdirektor trat vor und las monoton aus einem Dokument vor, was Sarah jedoch nur am Rande mitbekam.
    Wo sind die beiden, du gottverdammter Scheißkerl? Sarah legte ihre ganze Verachtung und all ihren Hass in ihren Blick, um Damians Zunge während dieser letzten Sekunden, die er noch auf Erden weilte, zu lösen. Sie schlug mit der Faust gegen das dicke Glas, doch nur ein kaum hörbarer dumpfer Laut kam dabei heraus.
    Der Mörder verzog keine Miene, starrte sie einfach nur an. Sagte aber immer noch nichts. Stattdessen legte sich etwas Mitleidiges in seinen Blick. Als wäre sie diejenige, die zum Tode verdammt wäre, und nicht er.
    Der Gefängnisdirektor war fertig und nahm die Brille ab, dann nickte er einmal kurz zu dem Raum hinüber, in dem der Henker saß. Sarah hatte sich informiert. Hinter dem von der anderen Seite durchsichtigen Spiegel legte jemand einen Schalter um. Medikamente flossen in Damians Armvenen. Zuerst noch mehr Beruhigungsmittel, dann ein die Muskeln lähmendes Gift und schließlich Kaliumchlorid, um sein Herz zum Erliegen zu bringen.
    Die Zeit blieb stehen. Sarah wagte nicht zu blinzeln. Damian blinzelte ebenfalls nicht.
    Drei Minuten später trat der Gefängnispfarrer zur Seite, als ein Mann in weißem Kittel dazukam und Damian mit einem Stethoskop abhörte.
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